Im Juni vor zehn Jahren veröffentlichte Papst Franziskus seine Enzyklika „Laudato Si‘ über die Sorge für das gemeinsame Haus“, die als erste Umweltenzyklika in die Geschichte der katholischen Soziallehre einging. Ebenfalls vor zehn Jahren, im September, verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen einen globalen Aktionsplan für die nachhaltige Entwicklung aller Menschen, die sogenannte „Agenda 2030“, und im Dezember vor zehn Jahren einigten sich die Staaten dieser Erde auf den Pariser Weltklimavertrag, in dem sie sich zu einer Begrenzung der durchschnittlichen Erderwärmung auf deutlich unter 2°C, möglichst 1,5 °C, verpflichteten. Für einen Wimpernschlag in der Geschichte schien sich die Menschheit auf den Weg zu machen, ihr gemeinsames Haus bewohnbar zu halten und jedem Menschen eine Chance auf ein gutes Leben einzuräumen. Eine globale Pandemie, Dutzende Kriege, eine Zeitenwende, tausende terroristische Angriffe und eine im Jahr 2024 gemessene, durchschnittliche Erderwärmung von etwa 1,6°C später erscheint uns die Welt eine andere. Ist sie das wirklich? Oder hängt unser Blick an Symptomen eines Problems fest, dessen Ursachen uns im Jahr 2015 klarer vor Augen standen?
Heute fordern uns die kontinentalen katholischen Bischofskonferenzen und -räte Afrikas, Asiens, Lateinamerikas und der Karibik in ihrem „Aufruf für Klimagerechtigkeit und das Gemeinsame Haus“ in Nachfolge von Papst Franziskus‘ Enzyklika Laudato Si‘ dazu auf, diese Ursachen wieder klarer in den Blick zu nehmen: „Der wohlhabende Globale Norden, zu dem die Länder in Nordamerika und Westeuropa gehören, ist für einen erheblichen Anteil der historischen und aktuellen CO2-Emissionen verantwortlich und genießt wirtschaftliche Vorteile, die auf Kosten des Globalen Südens erzielt wurden. (…) Der Globale Norden muss entschlossen handeln, um diese Klimaschulden zurückzuzahlen: die Umweltschäden stoppen, in Initiativen zur Eindämmung und Anpassung an den Klimawandel investieren und Schäden ausgleichen, die nicht rückgängig gemacht werden können.“
Von einem solchen entschlossenen Handeln sind wir im Globalen Norden aber weit entfernt. Die USA sind aus dem Pariser Weltklimavertrag ausgestiegen und unsere Europäische Union versucht, in einem spätestens seit der Europawahl 2024 veränderten politischen Spektrum Mehrheiten zu finden. Derzeit stehen die im Jahr 2040 zu erreichenden europaweiten CO2-Emissionsreduktionen – das sogenannte EU-Klimaziel 2040 – in der Diskussion. Die europäischen Staats- und Regierungschefs werden Ende dieser Woche, am 23./24. Oktober, hierzu beraten und beschließen. Zur Entscheidung steht allerdings kein Reduktionsziel, das die historischen CO2-Emissionen Westeuropas berücksichtigt oder das wenigstens dem Bevölkerungsanteil der Europäischen Union an der Weltbevölkerung gerecht wird. Vielmehr liegt ein Klimaziel für 2040 auf dem Verhandlungstisch, das mit 90% CO2-Reduktionen im Vergleich zu 1990 deutlich unter dem eigentlich der Europäischen Union obliegenden Beitrag zu den internationalen Klimaschutzbemühungen liegt und dabei noch 3% im Ausland eingekaufte CO2-Reduktionen miteinschließt. Eine Einigung auf dieses EU-Klimaziel 2040 ist dennoch von höchster Bedeutung, denn sie ist Voraussetzung für einen belastbaren europäischen Klimaschutzbeitrag für die im November 2025 in Brasilien tagende Weltklimakonferenz, der mindestens bei 72,5% Emissionsreduktionen im Jahr 2035 im Vergleich zu 1990 liegen muss. Ohne einen solchen Klimaschutzbeitrag der Europäer könnten die anstehenden Klimaschutzverhandlungen von Beginn an vielleicht fatal geschwächt werden.
Das EU-Klimaziel 2040 ist aber zwischen den EU-Mitgliedstaaten heftig umstritten. Nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa diskutiert, wieviel Klimaschutz die Wirtschaft und ihre Wettbewerbsfähigkeit verträgt. Im Kern dieser Debatte steht, wer die wirtschaftlichen und politischen Kosten von Klimaschutz und Klimawandel heute und morgen trägt. Die Bischöfe Afrikas, Asiens, Lateinamerikas und der Karibik sehen schon die ökonomischen Koordinaten dieser Überlegungen – gelinde gesagt – skeptisch. Leider sprechen sie aus Erfahrung: „Der Wettlauf um Mineralien wie Lithium, Kobalt und Nickel, die für sogenannte ‚saubere‘ Technologien wie Batterien und Elektroautos gebraucht werden, verwüstet ganze Landstriche und entreißt Gemeinschaften die Lebensgrundlage, insbesondere im Globalen Süden. (…) Wasser-, Solar- und Windkraft-Megaprojekte, die oft ohne Rücksprache mit der ansässigen Bevölkerung umgesetzt werden, bündeln wirtschaftliche Macht und zerstören Ökosysteme. Diese Ansätze verstetigen das System der Ausbeutung und ignorieren die Notwendigkeit eines strukturellen Wandels.“
So wichtig es also ist, dass die Europäische Union jetzt ein europäisches Klimaziel von mindestens 90% CO2-Reduktionen bis 2040 und einen EU-Klimaschutzbeitrag zum Pariser Weltklimavertrag von mindestens 72,5% beschließt, so sehr müssen wir unsere Herangehensweise, die auf CO2-Neutralität bei gleichbleibendem Konsum und möglichst unverändertem Lebensstil abzielt, auf den Prüfstand stellen. Eine nachhaltige Entwicklung im Sinne der eingangs genannten Agenda 2030 bedeutet mehr als CO2-Neutralität des Globalen Nordens, und das, wozu uns die Bischöfe des Globalen Südens auffordern, ist mehr als eine „Wende“, es ist eine sozial-ökologische Umkehr: „Wir müssen das wirtschaftliche und kulturelle System verändern und die Logik des unbegrenzten Profits ersetzen durch integrale Ökologie: also Solidarität, Gerechtigkeit und Sorge für die Schöpfung“.
Als Christen dürfen wir diesen Weckruf unserer Bischöfe nicht ignorieren. Als Mitmenschen der einen Welt und zu unser aller Wohl sollten wir unsere Augen, Ohren und Herzen hiervor nicht verschließen.
Berlin, den 21. Oktober 2025
