zwei Männer und zwei Frauen sitzen mit Baby auf einem Sofa
Juni 2025

Stellungnahme des Kommissariats der deutschen Bischöfe – Katholisches Büro in Berlin – und der Bevollmächtigten des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union zum Entwurf eines Gesetzes zur Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten (BT-Drs. 21/321)

Die Familie ist die grundlegende Form der Gemeinschaft, die dem Staat und anderen sozialen Zusammenschlüssen vorausgeht. Der im Grundgesetz verankerte Schutz gilt für alle Familien in Deutschland – auch und gerade für Familien mit Fluchthintergrund.

Die beiden großen Kirchen sprechen sich in ihrer Stellungnahme gegen eine erneute Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten aus, denn die Aussetzung wird zu mehrjährigen Trennungen führen, von der Kinder überproportional häufig betroffen sind. Die Familienzusammenführung ist zentral für eine erfolgreiche Integration von Schutzberechtigten. Sorge um zurückgebliebene Familienangehörige in Krisengebieten belastet Betroffene psychisch und sozial.

        I.            Allgemeine Anmerkungen

Die Kirchen haben bereits in der Vergangenheit darauf hingewiesen, dass die Familie ein sehr hohes Gut darstellt, das es zu schützen gilt.[1] So wird etwa im Gemeinsamen Wort der Kirchen „Migration menschenwürdig gestalten“ aus dem Jahr 2021 betont: „Die Familie ist die grundlegende Form der Gemeinschaft, die dem Staat und anderen sozialen Zusammenschlüssen vorausgeht. Der im Grundgesetz verankerte Schutz gilt für alle Familien in Deutschland – auch und gerade für Familien mit Fluchthintergrund. Ebenso hebt die Europäische Menschenrechtskonvention die Bedeutung des Familienverbundes hervor. Die Kirchen haben sich stets dafür starkgemacht, dass auch subsidiär Schutzberechtigte einen Rechtsanspruch auf Familienzusammenführung in Deutschland haben. Schutzsuchenden, die wieder mit ihren Angehörigen vereint sind, gelingt es besser, sich auf ein neues Leben einzulassen“[2]. Darüber hinaus dient der Schutz von Ehe und Familie in Art. 6 Abs. 1 GG auch den Interessen der Gesellschaft als Ganzes, da hier die Grundlagen für ein gelingendes Zusammenleben geschaffen werden.[3] Die Integration drittstaatsangehöriger Personen wird erheblich erschwert, wenn sie sich um die Sicherheit und das Wohlergehen ihrer in prekären Verhältnissen zurückgebliebenen Familienangehörigen sorgen müssen.[4]

Die beiden großen Kirchen haben deshalb die Erleichterung des Familiennachzuges zu subsidiär Geschützten ausdrücklich begrüßt und die unterschiedlichen Regelungen der letzten Jahre, die die Möglichkeit des Familiennachzugs zu subsidiär Geschützen zunächst für zwei Jahre aussetzten und anschließend nach § 36a AufenthG nur in Härtefällen und nur für 1000 Personen pro Monat ermöglichten, kritisiert.[5] Auch den aktuellen Vorschlag, den Familiennachzug zu subsidiär Geschützten erneut für zwei Jahre auszusetzen, lehnen die Kirchen ausdrücklich ab.

      II.            Im Einzelnen

§ 104 Abs. 14 AufenthG-E[6] sieht vor, dass der Familiennachzug zu einer subsidiär schutzberechtigten Person ab Inkrafttreten des Gesetzes für die Dauer von zwei Jahren „nicht gewährt“ wird. Damit wird der Familiennachzug zu subsidiär Geschützen für zwei Jahre ausgesetzt. Hiergegen wenden sich die beiden großen Kirchen mit Nachdruck.

Bereits die in § 36a AufenthG für subsidiär Schutzberechtigte gefundene, auf 1000 Visa pro Monat begrenzte Regelung zur Ermöglichung des Familiennachzugs kann in der Praxis große Härten oft nicht vermeiden. Denn die vom Bundesverwaltungsgericht angemahnte[7] Überprüfung der für jeden Einzelfall relevanten Aspekte dauert sehr lange. Zudem wird zwar geprüft, ob eine Familienzusammenführung in einem Drittstaat möglich ist, dies ist aber häufig theoretischer Natur, da die betreffenden Drittstaaten meist nicht zur Aufnahme des subsidiär Schutzberechtigten bereit sind. Die Kirchen sind deshalb auch weiterhin der Auffassung, dass anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte bei der Frage der Möglichkeit des Familiennachzugs vor identischen Herausforderungen und Hindernissen stehen. Eine Ungleichbehandlung der beiden Schutzstatus bei der Ermöglichung des Familiennachzugs scheint den beiden Kirchen daher nach wie vor nicht angebracht zu sein.

Die zweijährige Aussetzung des Familiennachzugs, die ab Inkrafttreten der Gesetzesänderung für alle noch im Verfahren befindlichen Personen gelten soll, wird für die betroffenen Familien zu untragbar langen Trennungszeiten führen. Bereits nach geltendem Recht sind die antragsberechtigten Familien in der Regel zwei bis drei Jahre, oft auch länger, voneinander getrennt. Diese lange Trennungsphase liegt an langen Wartezeiten, beispielsweise an den Auslandsvertretungen bei der Durchführung des Verfahrens, an der komplizierten und langwierigen Beschaffung von erforderlichen Dokumenten und der Kontingentierung in § 36a AufenthG. Die nun geplante zweijährige Aussetzung wird daher im Normalfall für viele Familien zu einer mehr als vierjährigen unverschuldeten Trennungsphase führen. Aus Sicht der Kirchen kommt hierbei erschwerend hinzu, dass von der geplanten Regelung überproportional viele Kinder betroffen sein werden: Von den rund 12.000 im vergangenen Jahr erteilten Visa entfielen nach Angaben des Auswärtigen Amts etwa 7.300 auf den Nachzug von minderjährigen Kindern.[8]

Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht die Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten von 2016 bis 2018 mit höherrangigem Recht vereinbar erklärt, weil in besonderen Einzelfällen bzw. Härtefällen ein Familiennachzug nach § 22 AufenthG möglich gewesen sei.[9] Da in dem Entwurf jedoch keine Stichtagsregelung vorgesehen ist, möchten die Kirchen darauf hinweisen, dass die nun geplante Aussetzung gegen Art. 8 EMRK verstoßen könnte. So hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zwar entschieden, dass es Staaten möglich ist, den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten bis zu zwei Jahre komplett auszusetzen. Eine Frist von drei Jahren hat er aber als „übermäßig lang“ eingestuft, die einer individuellen Güterabwägung bedürfe.[10] Es erscheint daher angesichts der verschiedenen Wartezeiten, der Kontingentierung und der nochmaligen Aussetzung des Familiennachzuges naheliegend, dass eine Verletzung von Art. 8 EMRK vorliegt. Außerdem ist es fraglich, ob die Möglichkeit eines Familiennachzugs allein über § 22 Abs. 1 S. 1 AufenthG aus dringenden humanitären Gründen den Anforderungen der EMRK genügt.[11] Denn dringende humanitäre Gründe können nur dann vorliegen, wenn sich die betroffenen Personen in einer extremen Notsituation befinden und sich ihre Lage im Vergleich mit anderen Ausländern in derselben Situation durch weitere Besonderheiten auszeichnet,[12] so dass die Vorschrift nur in ganz besonders gelagerten Ausnahmefällen in Betracht kommt. Zur Debatte steht deshalb, wie die vom EGMR genannten Kriterien, zum Beispiel die Länge der Familientrennung und die Unmöglichkeit die Familieneinheit im Herkunftsland oder einem anderen Drittstaat wieder herzustellen, adäquat berücksichtigt werden können.

Aus kirchlicher Sicht führt die wiederholte Aussetzung des Familiennachzuges zudem zu erneuter Rechtsunsicherheit: Von August 2015 bis Mai 2025 sind eine Vielzahl an rechtlichen Fragen aufgetreten, die mühsam von den deutschen Gerichten geklärt wurden. In vielen dieser Verfahren waren Familientrennungen von mehreren Jahren die Entscheidungsgrundlage. Nun sind Problemkreise wie der „maßgebliche Zeitpunkt für die Bestimmung der Minderjährigkeit“ beim Kinder- bzw. Elternnachzug, Verfahrensfragen zum Eilrechtsschutz, wann eine familiäre Lebensgemeinschaft „seit langer Zeit“ nicht möglich ist und welche Konstellationen unter weitere „humanitäre Gründe“ für Familiennachzug fallen, endlich gerichtlich geklärt. [13]  Die geplante Aussetzung wird hingegen neue Rechtsfragen aufwerfen und so wieder zu Rechtsunsicherheit führen.

Wird der Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten dennoch ausgesetzt, ist auf jeden Fall eine Regelung für bereits im Verfahren befindliche Personen erforderlich: Es ist aus Sicht der Kirchen unerlässlich, das Verfahren bei Personen im Sinne des Vertrauensschutzes weiterzuführen, die bereits einen Antrag auf Familiennachzug zu einem subsidiär Schutzberechtigten gestellt haben.[14] Denn bereits auf die Terminvergabe in den jeweiligen Auslandsvertretungen warten Berechtigte laut unseren Beratungsstellen vielerorts länger als ein Jahr.

Weiterhin muss – wie bereits bei der vergangenen Aussetzung des Familiennachzuges zu subsidiär Geschützten – mit wesentlich mehr Anträgen nach § 22 AufenthG gerechnet werden, da dies nun die einzige Vorschrift ist, mit deren Hilfe Familien subsidiär Schutzberechtigter in humanitären Härtefallen zusammenkommen können. Die Kirchen regen eine klare Vorabkommunikation an, wie in solchen Fällen vorgegangen werden soll.

Schließlich scheint es den Kirchen mit Blick auf die praktischen Erfahrungen, die mit der Aussetzung des Familiennachzugs in den Jahren 2016 bis 2018 gemacht wurden, insbesondere den langen Wartefristen für eine Terminvergabe, angebracht, Visumsanträge zum Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten schon vor dem Auslaufen des Gesetzes entgegenzunehmen und zu bearbeiten.

Berlin, den 06.06.2025


[1] Gemeinsame Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung im Hauptausschuss zum Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU „Entwurf eines Gesetzes zur Verlängerung der Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Geschützten“ (BT-Drs. 19/439) u.a.; Gemeinsame Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung im Innenausschuss zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes (Familiennachzug zu subsidiär Geschützten) (BT-Drs. 18/10044) u.a., Gemeinsame Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren (BT-Drs. 18/7538).

[2] Migration menschenwürdig gestalten, S. 203.

[3] Vgl. bspw. Badura zu Art. 6 GG in Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz Kommentar, 106. EL Oktober 2024, Rn. 1.

[4] Sh. „Wie gelingt Integration?“ Studie der Robert Bosch Stiftung und des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR), November 2017, ab S. 90.

[5] Vgl. FN 1 und zuletzt Gemeinsame Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Begrenzung des illegalen Zustroms von Drittstaatsangehörigen nach Deutschland (Zustrombegrenzungsgesetz) 28. Januar 2025, 250129_Gemeinsame_Stellungnahme_der_Kirchen_Zustrombegrenzungsgesetz.pdf.

[6] Art. 1 Nr. 2 des Entwurfs eines Gesetzes zur Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten, BT-Drs. 21/321.

[7] BVerwG Urteil vom 8. Dez. 2022, Az. 1 C 8.21, Rn 21 ff.

[8] MiGAZIN Artikel, Dobrindt bringt Integrations- und Flüchtlingsgesetze ins Kabinett. Artikel vom 26.05.2025, zuletzt am 2.6.2025 abgerufen.

[9] BVerwG Urteil vom 8. Dez. 2022, Az 1 C 8.21.

[10] EGMR (Große Kammer), M.A. gegen Dänemark (Beschwerde Nr. 6697/18), Entscheidung vom 9. Juli 2021, Rn. 179.

[11] Vgl. „Familiennachzug von subsidiär Schutzberechtigten im Lichte von Art. 8 EMRK“ Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestags vom 12. März 2025, S. 12.

[12] Vgl. BeckOK AuslR/Kluth/Bohley AufenthG § 22 Rn. 9-13.

[13] Überblick: Schulz-Bredemeier, ZAR 4; 2025 S. 159 – 167.

[14] Vgl. BT-Drs. 21/321. S. 14, in der Gesetzesbegründung wird ausgeführt, dass nur Personen vom Geltungsbereich ausgeschlossen werden, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Regelung von den deutschen Auslandsvertretungen bereits zur Visierung bzw. Visumsabholung eingeladen wurden oder bei denen die Erteilung des Visums Folge eines zuvor außergerichtlich oder gerichtlich geschlossenen Vergleichs ist. Der Zeitpunkt der Visumsabholung oder eines Vergleichs liegt jedoch nicht im Verantwortungsbereich der Betroffenen und schließt somit sehr viele Personen vom Familiennachzug aus, die sich zum jetzigen Zeitpunkt bereits seit mehreren Jahren um Familiennachzug bemühen.en Jahren um Familiennachzug bemühen.

Stellungnahme
des Kommissariats der deutschen Bischöfe, Katholisches Büro in Berlin
und
der Bevollmächtigten des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland bei der Bundesrepublik Deutschland
und
der Europäischen Union
zum

Entwurf eines Gesetzes zur Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten (BT-Drs. 21/321)