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Markus Altmann

Rückblick: St. Michael-Jahresempfang am 10. September 2024 in Berlin

„Wir wollen Frieden aus ganzem Herzen und ganzer Seele“

Bischof Bätzing und Großerzbischof Shevchuk sprechen auf dem St. Michael-Jahresempfang in Berlin

„Zum Wohl unserer Gesellschaft werden wir sorgsam darauf achten müssen, dass wir uns bei der Suche nach Lösungen nicht gegeneinander aufwiegeln lassen und dass Polarisierungen nicht weiter zunehmen. Der politische und gesellschaftliche Dialog muss mit der notwendigen Sachlichkeit und Differenziertheit, die die Themen nun einmal verlangen, geführt werden. Wir wissen aus unserer Geschichte um die Gefährdungen der Demokratie.“ Mit diesen Worten hat heute (10. September 2024) der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Georg Bätzing, den St. Michael-Jahresempfang in Berlin eröffnet. Vor rund 550 geladenen Gästen, darunter Bundeskanzler Olaf Scholz und weitere Mitglieder der Bundesregierung sowie Vertreter der Religionen und der Ökumene, erinnerte Bischof Bätzing daran, „was für ein Glück Freiheit und Demokratie, ein vereintes Europa und eine europäische Friedensordnung für uns alle bedeuten.“ 


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Vor allem an gewaltsamen Auseinandersetzungen zeige sich die wachsende Unordnung in der Welt, „in der das Völkerrecht und anerkannte Ordnungsprinzipien infrage gestellt und sogar offensiv missachtet werden; eine(r) Welt, in der internationale Organisationen und das Prinzip der Kooperation zunehmend gering geschätzt werden. Das ist eine Welt, in der mehr und mehr wieder das Recht des Stärkeren gilt und nicht eine Welt, in der die Interessen der Einzelnen mit dem Weltgemeinwohl verbunden sind“, so Bischof Bätzing. Die Kirche trete dafür ein, das Weltgemeinwohl zu stärken: „Wir engagieren uns für die Einhaltung des Völkerrechts. Wir bekennen uns zum Prinzip der Unverletzlichkeit der Grenzen. Wir bejahen regelbasierte Ordnungen in allen Bereichen des Zusammenlebens der Völker und Staaten. (…) Wir bekräftigen die Verpflichtung der Staaten und der internationalen Gemeinschaft, diese Rechte zu achten und zu schützen – nicht zuletzt die Rechte der Ärmsten auf der Welt und der Geflüchteten.“ Diese grundsätzlichen Markierungen, so Bischof Bätzing, seien keine parteipolitischen Programmsätze: „Wir Christen sind keine politische Partei, sondern wir Mit Blick auf die Ukraine betonte Bischof Bätzing, dass mit dem russischen Angriffskrieg die europäische Friedensordnung missachtet und grundlegend beschädigt worden sei: „Wer auf Völkerrecht setzt und darin einen Eckstein des internationalen Gemeinwohls sieht, vermag leicht zu erkennen, welche Dynamiken der russische Tabu-Bruch ausgelöst hat. Für die katholische Kirche will ich hier sagen: Wir stehen weiter solidarisch an der Seite des angegriffenen Landes. Die Selbstverteidigung der Ukraine ist legitim – und ebenso die Unterstützung Ihres Landes durch große Teile der internationalen Gemeinschaft.“

Über die aktuelle Situation in der Ukraine sprach beim St. Michael-Jahresempfang der Großerzbischof von Kiew, Sviatoslav Shevchuk, der zugleich das Oberhaupt der Ukrainischen griechisch-katholischen Kirche ist. Er dankte der Bundesrepublik für den Einsatz zur Unterstützung der Ukraine: „Sie helfen der ukrainischen Armee, Unschuldige zu verteidigen. Sie stellen sich der Tyrannei und internationalen Aggression entgegen. Sie unterstützen einen wahrhaft gerechten Frieden. Sie arbeiten unermüdlich für die europäische Einheit und internationale Gerechtigkeit.“ Unmissverständlich führte der Großerzbischof angesichts des russischen Krieges aus: „Mein Wunsch ist es, Hoffnung zu machen und die Quelle für unsere Stärke und Widerstandskraft mit Ihnen zu teilen. Wir haben eine Aufgabe, die wir gemeinsam zu Ende bringen müssen. Hitlers und Stalins Völkermorde dürfen sich nicht wiederholen.“ Dabei erinnerte er an den Krieg, der bereits vor zehn Jahren mit der Annexion der Krim begonnen hatte: „Im jetzigen Stadium hat sich der Krieg in einen Marathon verwandelt, bei dem die Ukrainerinnen und Ukrainer permanent im Sprinttempo laufen müssen, um in diesem Todesrennen nicht geschlagen zu werden. Ich bitte Sie, mit uns zu laufen – schnell, standhaft und furchtlos.“


Foto: Markus Altmann

Großerzbischof Shevchuk warnte vor der weiteren Zerstörung von Kirchen. „Sollte es Putin gelingen, die gesamte Ukraine zu besetzen, werden alle ukrainischen Kirchen ausradiert. Unsere Kirche ist in den besetzten Teilen der Ukraine bereits verboten worden. Fast alle unsere Pfarreien wurden zerstört, Kirchen und Klöster wurden konfisziert und deren Eigentum wurde beschlagnahmt.“ Niemand, so das Oberhaupt der Ukrainischen griechisch-katholischen Kirche, wolle den Frieden mehr als die Ukrainerinnen und Ukrainer: „Nach unserer Befreiung vom Roten Reich des Bösen haben wir uns aufgemacht und uns den Demokratien in Europa und der Welt angeschlossen, für die Freiheit, Gerechtigkeit und die Achtung der Rechte und Würde von Menschen und Völkern als Tugenden maßgeblich sind. Wir haben auf einzigartige, visionäre Weise zum Aufbau von Frieden und Freiheit in der Welt beigetragen.“ Großerzbischof Shevchuk betonte: „Wir wollen Frieden aus ganzem Herzen und ganzer Seele – aber einen gerechten Frieden, weil nur ein gerechter Frieden authentisch und nachhaltig sein wird.“ Er warnte ausdrücklich davor, dass weder die Demokratien der Welt noch die Kirche einen Frieden gutheißen dürften, der Aggression als erfolgreiche Methode akzeptiere. Russland weigere sich, die Ukraine rechtlich als Staat anzuerkennen und verwehre ihr ein ureigenes Existenzrecht: „Es ist daher politisch verfehlt und strategisch unklug, zu glauben, die Logik, die demokratische Nationen und Völker leitet, gelte auch für totalitäre Machthaber und Diktatoren oder würde diese beeinflussen.“ Deshalb bedürfe es eines Bekenntnisses zur Demokratie: Die Demokratie sei es wert, „auch um den Preis des eigenen Wohlbefindens, der eigenen Gesundheit und sogar des eigenen Lebens verteidigt zu werden. So können wir uns gegenseitig helfen, aus den richtigen Gründen und für den richtigen Zweck für die Demokratie einzutreten und sie zu fördern. Aber zuerst muss die Ukraine Frieden finden“.

Pressemitteilung der deutschen Bischofskonferenz vom 10.09.2024

Ansprachen



Foto: Markus Altmann

Musikalisch wurde der Abend vom GANNA Ensemble gestaltet. Ganna Gryniva ist gebürtige Ukrainerin und lebt seit 2002 in Berlin. Mit ihrem Ensemble verbindet sie ukrainische Folklore mit Jazz, improvisierter und experimenteller Musik. Sie setzt sich mit ihrer Musik dafür ein, das kulturelle Erbe der Ukraine international sichtbar und hörbar zu machen.


Rückblick: St. Michael-Jahresempfang am 4. September 2023 in Berlin


Foto: Deutsche Bischofskonferenz/Sowa

Der Apostolische Nuntius bei der Europäischen Union, Erzbischof Noël Treanor, hat heute (4. September 2023) für die „Kunst des Kompromisses“ geworben und gleichzeitig zum Schutz der Demokratie aufgerufen. Vor rund 500 Gästen aus Kirche, Politik, Gesellschaft und Medien sprach Nuntius Treanor auf dem St. Michael-Jahresempfang des Katholischen Büros in Berlin.

Zu Beginn des Empfangs zeichnete der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Georg Bätzing, ein realistisches Bild von Religion und Kirche in Deutschland. „Religion wird in der immer pluraler werdenden Gesellschaft mehr und mehr als Teil des persönlichen Ausdrucks gesehen, gleich anderen Haltungen und Überzeugungen, die in einer offenen Gesellschaft ihren Platz finden dürfen. Und nicht nur die Kirchenbindung der Menschen schwindet. Der Glaube an Gott droht zu verdunsten. Viele, die die Kirche nicht förmlich verlassen, haben sich innerlich entfernt und sind vielfach kaum noch ansprechbar. Die Fähigkeit der Kirche, Menschen für das Evangelium zu gewinnen und Orientierung zu geben, nimmt mit jeder Generation ab“, so Bischof Bätzing. Gleichzeitig betonte er, dass die vorhandene Ausgangslage von Freiheit und bewusster individueller Entscheidung wichtig und gut sei. Sie erfordere von der Kirche, neue Wege suchen, um Menschen noch mehr in ihrer Lebenssituation und mit ihren Fragen hilfreich zu begleiten und Gemeinschaft in einem guten Geist zu fördern: „In der krisenhaften Stunde zeigt sich in aller Klarheit die Notwendigkeit, die Botschaft Jesu Christi neu zu verkünden. Ich bin überzeugt, dass sie auch heute Menschen begeistern und unterstützen kann. Und an der Stelle betone ich ausdrücklich, wie dankbar ich für die Menschen bin, die im Haupt- und Ehrenamt und in ihrem alltäglichen Leben der frohen Botschaft ein Gesicht geben und kreative Wege gehen, damit Menschen Kraft im Glauben und für ihr Leben finden“, sagte Bischof Bätzing.

Dazu zähle auch der Einsatz, für den die Kirche stehe: Als Kirche wolle man sich auch in Zukunft daran messen lassen, dass man für den Schutz des Lebens eintrete, die Würde und Rechte derer verteidige, die am Rande der Gesellschaft ständen. Außerdem, so Bischof Bätzing, lasse sich die Kirche auch künftig daran messen, „dass wir in den Konflikten unserer Zeit dafür einstehen, Gerechtigkeit, Frieden, Menschenrechte und die Bewahrung der Schöpfung immer mehr zu Leitbildern unserer Gesellschaft und auch des internationalen Zusammenlebens zu entwickeln. Da sind nicht bloß Worte, da sind konkrete Taten gefragt“. Bischof Bätzing fügte hinzu: „Eine Kirche, die nicht dient, die sich von der Gesellschaft fernhält, ist nicht vorstellbar. Dabei spielt für uns nicht primär die entscheidende Rolle, wie viele Mitglieder wir haben – über bessere Zahlen als die zuletzt veröffentlichten freuen wir uns natürlich –, wie unsere Anliegen im politischen Diskurs tatsächlich aufgegriffen werden oder mit wem wir uns gut oder schlecht stellen. Entscheidend ist, dass wir uns als Kirche aus unserem Glauben heraus für die Menschen und für das Wohl der Gesellschaft einsetzen.“

Gastredner des St. Michael-Jahresempfangs war auf Einladung des Leiters des Katholischen Büros, Prälat Dr. Karl Jüsten, der Apostolische Nuntius bei der Europäischen Union in Brüssel, Erzbischof Noël Treanor. Er warnte vor einer wachsenden Polarisierung der gesellschaftlichen und politischen Auseinandersetzung in nicht wenigen Demokratien der Welt, die häufig mit dem Verlust von Vertrauen in den Staat und das demokratische Regierungssystem einhergehe. „Als Kirche sehen wir uns daher gerade heute in der Verantwortung, dem Extremismus, dem Populismus und jeglicher Form von Menschenfeindlichkeit entschieden entgegenzutreten. Populistische, radikale und autoritäre politische Akteure spielen dabei auch die Offenheit unserer Gesellschaft aus, um ihr und dem demokratischen Regierungsmodell zu schaden“, so Erzbischof Treanor. Er fügte hinzu: „Allerdings beobachte ich in den vergangenen Monaten einen ebenso besorgniserregenden Trend: Nicht nur die Feinde der Demokratie, sondern auch ihre Freunde tragen durch ihr Verhalten im politischen Wettbewerb unbeabsichtigt dazu bei, das Vertrauen der Menschen in den Wert des politischen Wettstreits, die Regierung und die Demokratie insgesamt zu schwächen. Auf europäischer Ebene konnte man jedenfalls diesen Eindruck in der politischen Auseinandersetzung der vergangenen Monate zu bestimmten Gesetzen gewinnen: Behauptungen wurden als Fakten präsentiert, der Wettbewerb der besten Argumente wurde in Teilen durch Stimmungsmache ersetzt und die Kunst des demokratischen Kompromisses aufgegeben zugunsten von Verweigerungs- oder Blockadehaltungen.“

Erzbischof Treanor warb in seiner Ansprache für den Schutz der Demokratie. „Wir alle stehen aber in der Verantwortung, mit unserer Demokratie achtsam umzugehen und sie zu schützen. Daher sind auch wir alle aufgerufen, präzise mit Fakten umzugehen, Komplexität nicht zugunsten unserer eigenen Meinung praktisch zu verkürzen, sondern sie besser zu kommunizieren und zu erklären.“ Politik lebe von vitalen Diskussionen, von eindrücklicher Rhetorik und unterschiedlichen Bewertungen. „Sie verliert aber den Boden unter den Füßen, wenn wir uns nicht mehr auf die Fakten einigen können, auf deren Basis unsere Repräsentanten ihre Entscheidungen treffen müssen. Denn dann können diese Entscheidungen von den Menschen nicht mehr richtig nachvollzogen werden. Der Mangel an einer geteilten Wahrnehmung von Fakten vergrößert zudem die Distanz zwischen den Realitäten, in denen wir uns eingerichtet haben, und erschwert so den Dialog“, sagte Nuntius Treanor.

Zum demokratischen Miteinander zählen außerdem die Fähigkeit zum Kompromiss, zur „Kunst des Kompromisses“, und die Bereitschaft, sich gegebenenfalls mit einer aus der eigenen Sicht nur zweit- oder drittbesten Antwort auf eine politische Frage zufriedenzugeben. Auch die Kirche bewege sich häufig auf dem Terrain von Kompromissen und nicht immer zeige sie sich zufrieden mit dem, was an Kompromissen – auch in der Politik – geschlossen werde. „Unsere Unzufriedenheit mit bestimmten politischen Kompromissen des demokratischen Gesetzgebers führt aber nicht dazu, dass wir Kompromisse generell, den demokratischen Wettbewerb der Ideen oder gar die Demokratie an sich infrage stellen. Diese Unzufriedenheit spornt uns vielmehr an, Fakten noch genauer anzuschauen, noch mehr in den Dialog zu gehen und unsere Überzeugungen und Argumente noch besser zu erklären und mehr und breitere Überzeugungsarbeit zu leisten“, so Erzbischof Treanor. „Wir meinen, dass die Orientierung, die die christliche Botschaft in die Politik hineinzugeben vermag, in Zeiten gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Transformationsprozesse, wie wir sie heute erleben, wichtig ist.“ Dazu gehöre der Schutz des menschlichen Lebens, des geborenen wie ungeborenen, des einheimischen wie des zugezogenen oder geflüchteten. „Hierzu gehört auch, dass der Schutz globaler Gemeingüter, die die Basis dieses Lebens bilden, und die Bewahrung der Schöpfung nicht zum Opfer wahlkampforientierter oder auf kurzfristigen Profit ausgerichteter Blockade- oder Verzögerungstaktiken werden dürfen.“