schwangere Frau steht auf einer grünen Wiese draußen und umfasst ihren Bauch
Anhörung zum Gesetzentwurf Neuregelung Schwangerschaftsabbruch
Februar 2025

Stellungnahme zum Gesetzentwurf zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs (BT-Drs. 20/13775) und zum Antrag „Versorgungslage von ungewollt Schwangeren verbessern“ (BT-Drs. 20/13776) anlässlich der Anhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags am 10.02.2025

  1. Allgemeine Anmerkungen

Der Gesetzentwurf zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs (BT-Drs. 20/13775) wurde nach dem Bruch der Regierungskoalition am 14.11.2024 in den Deutschen Bundestag eingebracht. Damit wurde erstmals in dieser abrupt zu Ende gehenden Legislaturperiode der Versuch des Gesetzgebers unternommen, einen konkreten Entwurf einer Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchsrechts vorzulegen. Anders als immer wieder zu vernehmen ist, ist der vorgelegte Gesetzentwurf nach unserer Auffassung weder minimalinvasiv noch eine „moderate Weiterentwicklung des geltenden Rechts“, noch berücksichtigt er ausgewogen die Rechte der Beteiligten.

Ungewollt schwangere Frauen befinden sich in einer sehr schwierigen Situation und ihre Grundrechte sind angemessen zu wahren. Sie haben zurecht Anspruch auf die explizite Unterstützung von Staat und Gesellschaft durch Rat, Tat und Hilfe. Der Entwurf ist nun aber nahezu ausschließlich auf die Rechte der Frau fokussiert. Das zweite betroffene Rechtsgut, das Lebensrecht des ungeborenen Kindes und sein Schutz, auf den das Kind existentiell angewiesen ist, gerät demgegenüber stark in den Hintergrund und ist in dem Entwurf kaum noch auszumachen. Ausgegangen wird offenbar von einer gerade in der Frühphase der Schwangerschaft geschwächten grundrechtlichen Stellung des Embryos/Fetus. Mit der Einführung eines solchen verfassungsrechtlich abgestuften Lebensschutzkonzepts ebnet der Entwurf den Weg zu einem verfassungsrechtlichen und ethischen Paradigmenwechsel, der bei einer Verabschiedung Eingang in die Gesetzgebung fände und auch Auswirkungen auf andere Rechtsgebiete hätte.

Der Schwangerschaftsabbruch soll nach dem Entwurf weitgehend im Schwangerschaftskonfliktgesetz geregelt und soll nach Auffassung der Entwurfsverfasser in der Frühphase zwingend rechtmäßig gestellt werden. Im Strafgesetzbuch soll nur noch die Regelung der Fälle verbleiben, in denen der Abbruch durch einen Dritten verursacht wird und gegen oder ohne den Willen der Schwangeren erfolgt. Selbst die Beratung darf nicht mehr zur Fortsetzung der Schwangerschaft ermutigen, ein Verstoß der Schwangeren gegen die Beratungspflicht ist nicht mehr strafbewehrt, die Wartefrist zwischen Beratung und Abbruch als Reflexionszeit entfällt und auch die Ärzte begehen nur noch eine Ordnungswidrigkeit, wenn sie gegen die ihnen obliegenden verfahrensrechtlichen Verpflichtungen verstoßen.

Es ist nochmals darauf hinzuweisen, dass die geltende Regelung des Schwangerschaftsabbruchs keine Kriminalisierung des individuellen, beratenen Schwangerschaftsabbruchs beinhaltet (s. unten II. 2. a.). Zudem gibt es keine völkerrechtliche Pflicht zur Regelung des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des Strafrechts. Auch der Sache nach ist die geltende Regelung des Schwangerschaftsabbruchs mit den völkerrechtlichen Anforderungen zum Schutz von Selbstbestimmung und Gesundheit der Frau vereinbar (II. 2. b.). Selbstverständlich dürfen Frauen nicht ohne eine ausreichende medizinische Versorgung sein. Aber auch hier bedarf es eines differenzierten Blicks. Die Bundesländer sind bereits nach geltender Rechtslage gem.
§ 13 Abs. 2 SchKG zur Sicherstellung eines ausreichenden Angebots ambulanter und stationärer Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen verpflichtet. Die derzeitige Datenlage, worauf auch Mitglieder der AG 1 der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin in ihrer abweichenden Einschätzung zu Aspekten der medizinischen Versorgung bei Abbrüchen in der frühen Phase der Schwangerschaft hingewiesen haben, lässt nicht den Schluss zu, die medizinische Versorgungslage sei einfach schlecht oder es bestehe eine Kausalität zwischen der geltenden Regelung und der Versorgungslage (s. näher unter II. 2. c.). In Deutschland gibt es laut Statistik prozentual weniger Schwangerschaftsabbrüche als in anderen europäischen Ländern, was darauf hindeuten kann, dass dem geltenden legislativen Schutzkonzept durchaus eine Wirkung zum Schutz des ungeborenen Lebens zukommt (s. unten II. 2. d.). In der politischen Debatte wird auch immer wieder darauf verwiesen, 80 Prozent der Bevölkerung seien für eine außerstrafrechtliche Regelung des Schwangerschaftsabbruchs beziehungsweise eine Liberalisierung in der vorgelegten Weise. Es dürfte aber zweifelhaft sein, ob diese Zahlen als „repräsentativ“ bezeichnet werden können. Die zugrundeliegende Online-Bevölkerungsumfrage des Markt- und Meinungsforschungsunternehmens Civey GmbH im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) betraf zudem nicht den am 14.11.2024 vorgelegten Gesetzentwurf, der nun Gegenstand der Debatte und Anhörung ist (s. unten II. 2. e.). In der Debatte zu kurz kommt bislang leider auch der in der Praxis zu beobachtende verstärkte Einsatz pränataldiagnostischer Verfahren und seine Auswirkungen auf die Entscheidung, die Schwangerschaft abzubrechen (II. 2. f.).

Ein solcher Entwurf gewährleistet den verfassungsrechtlich gebotenen Schutz des ungeborenen Kindes nicht in ausreichender Weise und ist daher abzulehnen (siehe dazu näher die Ausführungen unter II. 1. und II. 2. a. sowie als Anlage die Stellungnahme des Kommissariats der deutschen Bischöfe vom 20.11.2023 anlässlich der Anhörung der Arbeitsgruppe 1 der Kommission für reproduktive Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin vom 23.11.2023[1] [im Folgenden: Stellungnahme des Kommissariats der deutschen Bischöfe vom 20.11.2023]). Eine der Komplexität des Themas angemessene, breite politische sowie gesellschaftliche Debatte über diesen Vorschlag kann in der derzeitigen, stark vom Wahlkampf geprägten politischen Ausnahmesituation zudem nicht stattfinden. Eine solche Debatte in einem normalen, üblichen parlamentarischen Verfahren, in dem ausreichend Zeit für eine sachliche und differenzierte Auseinandersetzung angesichts der betroffenen grundsätzlichen verfassungsrechtlichen, völkerrechtlichen und ethischen Fragen verbleibt, ist aber unabdingbar.

Nach alledem ist auch der Antrag „Versorgungslage von ungewollt Schwangeren verbessern“ (BT-Drucksache 20/13776) zum jetzigen Zeitpunkt nicht weiterführend. Die noch nicht vom zuständigen Bundesministerium für Gesundheit (BMG) veröffentliche Gesamtstudie „Erfahrungen und Lebenslagen ungewollt Schwangerer – Angebote der Beratung und Versorgung“ (im Folgenden ELSA-Studie)[2] bedarf zudem noch der fachlichen Auswertung, um vertiefte und differenzierte Erkenntnisse zur Versorgungslage zu erhalten. Auch die Daten aus der erst im Juli 2024 beschlossenen Verfeinerung der Bundesstatistik müssten berücksichtigt werden.

  1. Im Einzelnen
  1. Bei der gegenwärtigen Debatte um eine Reform des Schwangerschaftsabbruchs werden zu Recht die Rechte der schwangeren Frau betont: die Achtung ihrer Menschenwürde und ihres Persönlichkeitsrechts, das ihre Selbstbestimmung über ihre persönliche Lebensgestaltung umfasst, sowie ihres Rechts auf körperliche Unversehrtheit und Gesundheit. Ungewollt schwangere Frauen befinden sich in einer sehr schwierigen Situation. Ihre Grundrechte sind angemessen zu wahren, und sie verdienen die explizite Unterstützung von Staat und Gesellschaft durch Rat, Tat und Hilfe. Druck von außen, wirtschaftlicher Zwang oder soziale Not dürfen in einer Entscheidung für oder gegen eine Schwangerschaft nicht den Ausschlag geben.

    Der Schwangerschaftsabbruch berührt daneben aber ein weiteres existenzielles Interesse: das Recht auf Leben jedes einzelnen Menschen, wozu auch das ungeborene Leben gehört. Staat und Gesellschaft müssen ihrer Schutzpflicht für das ungeborene Leben nachkommen, auf deren Wahrnehmung das Kind lebensentscheidend angewiesen ist.

    Dieses zweite betroffene Rechtsgut – das ungeborene Leben und sein Schutz – rückt nun aber im Verhältnis zu der Grundrechtsposition der Frau in der Diskussion um eine Reform des Schwangerschaftsabbruchs deutlich in den Hintergrund. Dies gilt auch für den vorgelegten Gesetzentwurf, bei dem der Schutz des ungeborenen Lebens nur noch schwer auszumachen ist. Der Entwurf ebnet den Weg für einen grundlegenden verfassungsrechtlichen und ethischen Paradigmenwechsel, der dann auch Auswirkungen auf andere Rechtsbereiche hat. Orientiert an dem Bericht der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin sowie an ausgewählten Stimmen im verfassungsrechtlichen Schrifttum wird die geltende Regelung des Schwangerschaftsabbruchs für die Frühphase, die auf der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1993 basiert, als nicht mehr haltbar betrachtet. Anders als in der politischen und öffentlichen Diskussion mitunter dargestellt, bedeutet er keinesfalls nur eine „moderate Weiterentwicklung des geltenden Rechts“:

    a) Der Entwurf zielt auf eine verfassungsrechtliche Neubewertung auf zwei Ebenen ab.
         
    – Zum einen will der Entwurf eine verfassungsrechtliche Neubewertung in Bezug auf die grundrechtliche Stellung des ungeborenen Lebens vornehmen, wenn er wie die Kommission – und entgegen geltendem Recht – von einem auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht anwachsenden Lebensrecht des Embryos/Fetus auszugehen scheint und allein auf Stimmen im verfassungsrechtlichen Schrifttum Bezug nimmt, die den Schutz des ungeborenen Lebens sowohl im Hinblick auf seine Eigenschaft als Träger der Menschenwürde als auch im Hinblick auf sein umfassendes Lebensrecht von Anfang an in Frage stellen (siehe S. 17 des Gesetzentwurfs, S. 21 des Gesetzentwurfs). Die Entwurfsverfasser führen damit eine solcherweise veränderte grundrechtliche Stellung des ungeborenen Lebens mit Verweisen auf den Kommissionsbericht und auf ausgewählte Literaturstimmen in die Gesetzgebung ein, beziehungsweise ebnen den Weg dafür. Demgegenüber wird die Grundrechtsposition der schwangeren Frau ausführlich dargelegt (siehe S. 3 des Gesetzentwurfs). Ein abstufbarer Schutz des ungeborenen Lebens sowie die Infragestellung seiner Menschenwürde bedeutete aber eine Abkehr des Gesetzgebers von der geltenden verfassungsrechtlichen Bewertung, nach der menschliches Leben generell Menschenwürde zukommt und nicht nach unterschiedlichen biologischen Entwicklungsgraden unterschieden werden darf. Denn der Mensch entwickelt „sich nicht erst zum Menschen, sondern als Mensch“. „Wo menschliches Leben existiert, kommt ihm Menschenwürde zu. Diese Würde des Menschseins liegt auch für das ungeborene Leben im Dasein um seiner selbst willen“[3]. Wird der Entwurf verabschiedet, besteht die erhebliche Gefahr, dass ein abgestuftes Lebensschutzkonzept in die Gesetzgebung Eingang findet. Es bedeutete einen verfassungsrechtlichen und ethischen Paradigmenwechsel, der dann auch Auswirkungen auf andere Rechtsbereiche wie z.B. die Regulierung der Reproduktionsmedizin, die Embryonen- und Stammzellforschung oder Fragen der genetischen Selektion hätte (vgl. zur verfassungsrechtlichen Situation die Stellungnahme des Kommissariats der deutschen Bischöfe vom 20.11.2023).

    – Zum anderen erfolgt eine Neubewertung auf der Ebene der verfassungsrechtlichen Abwägung der betroffenen geschützten Rechtspositionen, wenn wieder mit Verweis auf den Kommissionsbericht gefolgert wird, dass der Schwangerschaftsabbruch in der Frühphase zwingend rechtmäßig ist. Hier liegt ebenfalls die angenommene schwächere grundrechtliche Stellung des Embryos/Fetus der Abwägung der Grundrechtspositionen zu Grunde und führt zu der konkreten Ausgestaltung der Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs im Schwangerschaftskonfliktgesetz. In § 218 Strafgesetzbuch verbleibt nach dem Entwurf nur noch die Regelung der Fälle, in denen der Abbruch durch einen Dritten verursacht wird und gegen oder ohne den Willen der Schwangeren erfolgt.

    b) Der Entwurf hält zwar beim Schwangerschaftsabbruch in der Frühphase an der 12 Wochen-Frist und an der Beratungspflicht im Grundsatz fest. Die Beratung darf aber nun auch nicht mehr daran orientiert sein, zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen. Darauf weisen die Entwurfsverfasser auch explizit in der Begründung hin (s. Seite 24 des Gesetzentwurfs zu Nummer 2, § 6, wonach die Beratung nicht an vorab festgelegten Zielsetzungen wie der Ermutigung zur Fortsetzung der Schwangerschaft orientiert sein darf). Die Ermutigung zur Fortsetzung der Schwangerschaft stellt hingegen nach dem geltenden Recht einen wesentlichen Baustein zum Schutz des ungeborenen Lebens dar und ist Ausdruck der verfassungsrechtlich verankerten Schutzpflicht des Staates in der Frühphase der Schwangerschaft (s. § 219 StGB). Nach den Entwurfsverfassern soll „der Schutz des ungeborenen Lebens stattdessen bei der Schwangeren auf die informierte, nicht belehrende Beratung und soziale Unterstützung setzen.“ Auch das ist irreführend, da die Beratung schon nach geltendem Recht nicht belehren oder bevormunden darf (s. § 5 SchKG). Die Ermutigung zur Fortsetzung der Schwangerschaft nun als Bestandteil der Beratung zu streichen, bedeutet eine weitere Schwächung des Schutzes des ungeborenen Lebens.

    Gleiches gilt für die vorgeschlagene Streichung der dreitätigen Wartefrist. Die Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch ist irreversibel. Eine entsprechende Reflexionszeit trägt der Irreversibilität dieser weitreichenden Entscheidung Rechnung.

    Eine Ermutigung zur Fortsetzung der Schwangerschaft und eine gesetzlich vorgeschriebene Reflexionszeit kann im Übrigen auch selbstbestimmungsförderlich wirken. Denn Selbstbestimmung kann ja nicht einfach abstrakt bestimmt und im Einzelfall unterstellt werden, sondern ist kontextualisiert zu betrachten.

    c) Die Durchführung von rechtswidrigen Schwangerschaftsabbrüchen ohne Einhaltung der Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen nach § 12 SchKG-neu soll nach § 14 SchKG-neu zwar strafbewehrt sein. Dies gilt aber nach dem Entwurf wiederum nicht für die Schwangere (s. § 14 Absatz 4 SchKG-neu). Sie kann damit auch gegen die Beratungspflicht verstoßen, ohne dass dies strafrechtliche Folgen zeitigt. Damit ist ein tragender Baustein des Lebensschutzes auch nicht strafbewehrt. Nach geltender verfassungsrechtlicher Rechtsprechung verpflichtet aber das Grundgesetz den Staat, das ungeborene Leben durch „Verhaltensgebote“ zu schützen, die nicht lediglich freiwillig sein dürfen. Sie sind vielmehr als Rechtsgebote mit verbindlichen Rechtsfolgen auszugestalten und sollen „Elemente des präventiven wie des repressiven Schutzes miteinander verbinden“ (BVerfGE 88, 203, 252 f).

    d) Ein Verstoß von Ärzten gegen die ihnen im Zusammenhang mit dem Schwangerschaftsabbruch obliegenden verfahrensrechtlichen Verpflichtungen, der nach geltendem Recht strafbewehrt ist, wird nach dem Entwurf in § 14a SchKG-neu zu einer bußgeldbewehrten Ordnungswidrigkeit herabgestuft. Auch dies ist als eine Herabstufung der Wertigkeit der Normen und des dahinterstehenden Regelungsziels – Schutz des ungeborenen Lebens – zu verstehen (siehe auch die Stellungnahme des Kommissariats der deutschen Bischöfe vom 20.11.2023).
  2. Angesichts der betroffenen grundsätzlichen ethischen und verfassungsrechtlichen Fragen sollte die politische und gesellschaftliche Debatte – der Komplexität des Themas angemessen – mit mehr Zeit und zudem deutlich differenzierter und sachlicher geführt werden:

    a) Es wird davon gesprochen, die Verortung des Schwangerschaftsabbruchs im Strafrecht kriminalisiere und stigmatisiere die Frauen. Dieses Narrativ bildet aber die geltende Regelung nicht angemessen, sondern verzerrend ab (siehe auch hierzu in der Anlage die Stellungnahme des Kommissariats der deutschen Bischöfe vom 20.11.2023). Die geltende Regelung setzt auf die Letztentscheidung der Frau und basiert schon heute auf dem Prinzip „Hilfe statt Strafe“. Beim beratenen Schwangerschaftsabbruch wird die Frau ausdrücklich straflos gestellt, die Frau soll gerade nicht kriminalisiert werden. Dem Strafrecht kommt nach dem Bundesverfassungsgericht die Aufgabe zu, die Achtung und grundsätzliche Unverletzlichkeit des menschlichen Lebens zu schützen. Es ist daher regelmäßig der Ort, „das grundsätzliche Verbot des Schwangerschaftsabbruchs zu verankern.“ Die Verortung im Rahmen der Delikte, die gegen das Leben gerichtet sind, dient dazu, das Bewusstsein vom verfassungsrechtlichen Rang des Rechtsguts des ungeborenen Lebens wach zu halten: sein Recht auf Leben, das im Schwangerschaftskonflikt existentiell gefährdet ist. Die geltende Regelung beinhaltet damit aber ausdrücklich keine Kriminalisierung des individuellen, beratenen Schwangerschaftsabbruchs.

    b) Im Hinblick auf die völkerrechtliche Situation bleibt weiter darauf aufmerksam zu machen, dass es keine völkerrechtliche Pflicht zur Regelung des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des Strafrechts gibt, sei es in der Früh- oder in der Spätphase. Die Einleitung zum Gesetzentwurf unter „C. Alternativen“ (siehe S. 5) stellt insofern rechtlich und sachlich unzutreffend fest, dass die derzeitige Rechtslage „im Widerspruch zu den internationalen Verpflichtungen Deutschlands, wie sie in den von Deutschland ratifizierten internationalen Menschenrechtsverträgen festgelegt sind“, steht. Diese Fehleinschätzung geht wohl auf die in Kapitel 6 des Berichts der Kommission für reproduktive Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin getroffenen, bereits mit Mängeln behafteten Aussagen zurück (siehe zu der von der Kommission in ihrem Bericht veröffentlichten Darstellung des völker- und europarechtlichen Rahmens für die Regelung des Schwangerschaftsabbruchs die weitergehende Einschätzung des Kommissariats der deutschen Bischöfe vom 24.06.2024[4]). Insofern die Entwurfsverfasser unter Verweis auf die WHO Abortion Guidelines behaupten, eine strafrechtliche Regelung senke die Abbruchrate nicht, lassen sie unerwähnt, dass diese Aussage der WHO auf zwischen 2010 und 2019 veröffentlichte Studien beruht, die in Australien, Brasilien, Chile, El Salvador, Äthiopien, Irland, Mexiko, Nordirland, den Philippinen, Ruanda, Senegal, Tansania, Uruguay und Sambia durchgeführt wurden[5]. Sowohl die Situationen in den meisten dieser Staaten, als auch die zwischen 2010 und 2019 in allen diesen Staaten bestehenden Regelungen von Schwangerschaftsabbrüchen weichen so grundlegend von der deutschen Situation und Rechtslage ab, dass Rückschlüsse auf oder für Deutschland nicht tragfähig sind und sich im Grunde verbieten. Im Übrigen stützen sich im Völkerrechtsraum erhobene Forderungen nach einer außerstrafrechtlichen Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen im Schwerpunkt auf die Annahme, dass eine strafrechtliche Erfassung von Schwangerschaftsabbrüchen Frauen und Mädchen dazu zwingen würde, auf unsichere, ihr Leben oder ihre Gesundheit gefährdende Schwangerschaftsabbrüche zurückzugreifen. Es gibt aber keine tragfähigen Hinweise darauf, dass die Regelung des Schwangerschaftsabbruchs in den §§ 218 ff. Strafgesetzbuch Frauen und Mädchen in Deutschland zu illegalen, sie in ihrer Gesundheit oder gar ihrem Leben gefährdenden Schwangerschaftsabbrüchen treibt. Die geltende Regelung des Schwangerschaftsabbruchs in Deutschland ist somit auch der Sache nach mit den völkerrechtlichen Anforderungen zum Schutz von Selbstbestimmung und Gesundheit der Frau vereinbar.

    c) Selbstverständlich dürfen Frauen nicht ohne eine ausreichende medizinische Versorgung sein. Bei der Diskussion über die Versorgungslage bedarf es aber eines sehr differenzierten Blicks. Die derzeitige Datenlage lässt – anders als es immer wieder z.B. jüngst in der politischen[6] und öffentlichen Diskussion unter allgemeinen Verweis auf die ELSA-Studie zu hören ist – nicht den Schluss zu, die medizinische Versorgungslage sei einfach schlecht oder es bestehe eine Kausalität zwischen der geltenden Regelung des Schwangerschaftsabbruchs in den §§ 218 ff. Strafgesetzbuch und der Versorgungslage. Dies zeigt nicht zuletzt auch die Unstimmigkeit innerhalb der Kommission über die Qualität und Aussagekraft der Ergebnisse einer Teilstudie der ELSA-Studie, der Strukturdatenanalyse zu regionalen Unterschieden in der Verfügbarkeit und Erreichbarkeit von Angeboten zum Schwangerschaftsabbruch[7]. So ist etwa kritisch zu hinterfragen, dass einfach ein neuer Entfernungsmaßstab (40-PKW-Minuten) eingeführt und der Bewertung zugrunde gelegt wird. Weitere kritische Aspekte sind die Interpretation der (mehrdeutigen) Meldestellen-Daten und die Bedeutung der regionalen Ebene bei der Bedarfs- und Versorgungsplanung. Im Kommissionsbericht fehlt insbesondere auch eine Einordnung der Versorgungslage zum Schwangerschaftsabbruch in den Kontext der grundsätzlichen medizinischen Versorgung (Ambulantisierung; Spezifika des ländlichen Raums; die Berücksichtigung der allgemeinen gynäkologischen Versorgung wie der Rückgang von Geburtskliniken). Die Sicherstellung der Versorgungslage ist Aufgabe der Bundesländer. Durch die im Juli 2024 beschlossene Verfeinerung der Bundesstatistik (vgl. BT-Drs. 20/10861) werden künftig auf regionaler Ebene bessere Daten vorhanden sein. Sie können die Bundesländer künftig auch noch besser dabei unterstützen, ihren Auftrag zur wirksamen Umsetzung des geltenden legislativen Schutzkonzepts nach §§ 218 ff. Strafgesetzbuch in Verbindung mit dem Schwangerschaftskonfliktgesetz zu erfüllen, wie etwa durch zielgerichtete Maßnahmen vor Ort in Zusammenarbeit mit den kassenärztlichen Vereinigungen und Landesärztekammern. Zu berücksichtigen ist auch, dass die ELSA-Gesamtstudie insgesamt erst Ende Oktober 2024 offiziell dem Bundesgesundheitsministerium übergeben wurde. Eine Auswertung durch das Ministerium liegt noch nicht vor, auch eine Diskussion der Ergebnisse im Rahmen von Anhörungen und in der Gesellschaft hat überhaupt noch nicht stattgefunden.

    d) In Deutschland gibt es laut Statistik[8] prozentual weniger Schwangerschaftsabbrüche als in anderen europäischen Ländern. Auch wenn ein Ländervergleich an Grenzen stößt, weil neben der Regulierung immer auch soziale, kulturelle und wirtschaftliche Faktoren eine entscheidende Rolle spielen, deutet dies darauf hin, dass dem geltenden legislativen Schutzkonzept durchaus eine Wirkung zum Schutz des ungeborenen Lebens zukommt. Auffallend ist jedenfalls, dass in Frankreich in den letzten Jahren nach den erfolgten Liberalisierungen auch die Abbruchzahlen gestiegen sind. In Frankreich wird jede vierte Schwangerschaft abgebrochen, in Deutschland jede achte.

    e) In der politischen Debatte wird immer wieder darauf verwiesen, 80 Prozent der Bevölkerung seien für eine außerstrafrechtliche Regelung des Schwangerschaftsabbruchs beziehungsweise eine Liberalisierung des Schwangerschaftsabbruchrechts in der vorgelegten Weise. Selbst unter Katholikinnen und Katholiken seien es rund 65 %. Fraglich ist aber, inwiefern diese Zahlen überhaupt aussagekräftig sind. Problematisch ist immer, dass selbst der Verweis auf solche Zahlen geeignet ist, die öffentliche Meinung zu prägen. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass es mittlerweile eine Vielzahl[9] unterschiedlicher Umfragen, Trendstudien und Meinungsbilder zur Beibehaltung oder Abschaffung von § 218 Strafgesetzbuch gibt, die zu durchaus unterschiedlichen, zuweilen gegenteiligen Ergebnissen kommen. So kam insbesondere eine Umfrage[10] der Forschungsgruppe Wahlen im Mai 2023 zu dem Ergebnis, dass 54 % der befragten 1257 Personen sich gegen eine Abschaffung des § 218 Strafgesetzbuch aussprachen, während lediglich 36 % eine solche Abschaffung befürworteten.
     
    Offenbar gehen die angeblichen 80% der Bevölkerung, die eine Liberalisierung des Schwangerschaftsabbruchs befürworten, auf eine vom BMFSFJ in Auftrag gegebene und im Oktober 2024 veröffentlichte Onlineumfrage[11] zurück. Diese[12] kommt nämlich zu dem Ergebnis, dass 75,3 % der befragten Personen der Meinung sind, dass frühe Schwangerschaftsabbrüche (in den ersten 12 Wochen) „eher nicht“ im Strafgesetzbuch geregelt werden sollen und 80,2 % es „eher für falsch“ halten, dass im deutschen Recht ein Schwangerschaftsabbruch, zu dem sich eine ungewollt schwangere Frau nach einer Beratung entscheidet, als rechtswidrig gilt. Diese Online-Befragung wurde vom Unternehmen Civey an nur drei Tagen, vom 11.03. bis zum 13.03.2024, und mit 5017 Teilnehmerinnen und Teilnehmern durchgeführt. Sie betraf damit nicht den erst am 14.11.2024 vorgelegten konkreten Gesetzentwurf, der nun Gegenstand der Debatte ist. Civey selbst bezeichnet diese Online-Bevölkerungsbefragung als „repräsentativ“. Das BMFSFJ spricht hingegen von einem „Meinungsbild zur reproduktiven Selbstbestimmung“ in Form einer „Online-Umfrage von Civey“.
     
    Die Repräsentativität der Ergebnisse von Online-Umfragen wird vielfach schon wegen ihrer Methodik generell angezweifelt. Denn bei Online-Befragungen werden Menschen über tausende im Internet verteilte URLs zur Teilnahme an der Umfrage eingeladen. Teilnehmerinnen und Teilnehmer nehmen dann zunächst aus eigener Initiative, also im Rahmen einer Art Selbst-Rekrutierung, teil. Bei dieser Methodik liegt es nahe, dass sich gerade solche Personen melden, die ihrer Stimme für ein Thema besonderes Gewicht verleihen wollen. Ob dies auch bei der Civey-Umfrage der Fall war, ist mangels detaillierter Angaben zu den befragten Personen in dem vom BMFSFJ veröffentlichten „Meinungsbild“, den Ergebnissen der Civey-Umfrage, nicht ersichtlich. Hieran wird ebenfalls deutlich, dass dieses „Meinungsbild“ wohl auch nicht den Anforderungen der Richtlinie für Veröffentlichung von Ergebnissen in der Markt- und Sozialforschung[13] entspricht: Im Gegensatz zu der bereits erwähnten Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen enthält das BMFSFJ-„Meinungsbild“ selbst keine hinreichend differenzierende Abbildung des Teilnehmerpools. So ist beispielsweise bei den konfessionell aufgesplitteten Ergebnissen unklar, auf welche Anzahl von an der Civey-Umfrage teilnehmenden Katholiken sich die ermittelten 61,2 % beziehen, die eine Regelung des frühen Schwangerschaftsabbruchs nicht im Strafgesetzbuch befürworten.
     
    Darüber hinaus unterscheiden sich die von Civey einerseits und von der Forschungsgruppe Wahlen andererseits gestellten Fragen in ihren Formulierungen und beigefügten Kontextinformationen fundamental: Während die Civey-Umfrage bspw. fragt, ob Schwangerschaftsabbrüche in den ersten zwölf Wochen eher im Strafgesetzbuch geregelt werden sollen oder eher nicht, weist die Forschungsgruppe Wahlen zunächst auf die aktuelle Rechtslage und die Möglichkeit der Straffreiheit des Schwangerschaftsabbruchs nach den §§ 218 ff. Strafgesetzbuch hin und stellt erst dann die Frage, ob eine Weitergeltung oder Abschaffung des § 218 Strafgesetzbuch befürwortet wird. Insofern haben die Formulierung und Kontextualisierung der Frage Einfluss auf die Antwort. Interessant wäre deshalb, wie sich der Hinweis auf die Aberkennung oder Schwächung des Lebensrechts des ungeborenen Kindes durch eine Streichung des § 218 Strafgesetzbuch oder seine im Gesetzentwurf vorgeschlagene Neufassung auf das Umfrageergebnis auswirken würde. Angesichts dieser Schwächen sollte davon Abstand genommen werden, sich in der öffentlichen Debatte auf die genannten Zahlen aus dem BMFSFJ „Meinungsbild“ zu berufen. Der Umstand, dass dieses „Meinungsbild“ erst im Oktober 2024 veröffentlicht, seine Ergebnisse aber bereits im April 2024 von ausgewählten Medien dargestellt wurden, dürfte ebenso wenig zu einer sachlichen Debatte beigetragen haben.

    f) In der Debatte völlig zu kurz kommt bislang leider auch der in der Praxis zu beobachtende verstärkte Einsatz pränataldiagnostischer Verfahren und seine Auswirkung auf die Entscheidung, die Schwangerschaft abzubrechen. Das gilt nicht nur für den Fall der Spät-, sondern auch für die Entscheidung in der Frühschwangerschaft. Diesen Aspekt thematisiert auch der Entwurf nicht. Bereits bei der heutigen Regelung des Schwangerschaftsabbruchs besteht aber die Gefahr einer verdeckten Rückkehr zu einem Schwangerschaftsabbruch nach embryopathischer Indikation. Auch Mitglieder des Deutschen Bundestags stellen die Frage, ob es einen Zusammenhang zwischen kassenfinanzierten nicht-invasiven Pränataltests (NIPT) und einem Anstieg der Abbruchzahlen gibt. Sie fordern ein Monitoring der Konsequenzen sowie die Einrichtung eines interdisziplinär besetzten Gremiums, welches die rechtlichen, ethischen und gesundheitspolitischen Grundlagen der Kassenzulassung des NIPT prüft (BT-Drs. 20/10515).

    Berlin, den 6. Februar 2025



[1] Stellungnahme des Kommissariats der deutschen Bischöfe – Katholisches Büro in Berlin – zur Frage der Arbeitsgruppe 1 – Regulierungen für den Schwangerschaftsabbruch – der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin, ob und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen eine Regelung zum Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuchs möglich ist
[2] https://elsa-studie.de
[3] BVerfGE 88, 203, 252.
[4] Einschätzung des Kommissariats der deutschen Bischöfe – Katholisches Büro in Berlin – zu der von der Kommission für reproduktive Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin in ihrem Bericht veröffentlichten Darstellung des völker- und europarechtlichen Rahmens für die Regelung des Schwangerschaftsabbruchs in Deutschland
[5] WHO, Abortion care guideline, S. 24.
[6] Vgl. 1. Lesung zum vorliegenden Gesetzesentwurf am 5.12.2024 https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2024/kw49-de-schwangerschaftsabbruch-1032654
[7] Vgl. Bericht der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin, S. 145 f.
[8] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/70858/umfrage/jaehrliche-schwangerschaftsabbrueche-in-europa/
[9] https://www.deutschlandfunk.de/abtreibung-schwangerschaftsabbruch-paragraph-218-100.html#Umfragen
[10] https://www.zdf.de/assets/frontal-umfrage-paragraf-218-100~original?cb=1732885382821
[11] https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/familie/schwangerschaft-und-kinderwunsch/schwangerschaftsabbruch/schwangerschaftsabbruch-nach-218-strafgesetzbuch-81020
[12] https://www.bmfsfj.de/resource/blob/246478/9b685f150c5734ef76efa909234f9285/umfrage-reproduktive-selbstbestimmung-data.pdf
[13] https://www.adm-ev.de/wp-content/uploads/2024/06/Richtlinie-fuer-die-Veroeffentlichung-von-Ergebnissen-der-Markt-und-Sozialforschung-Juni-2024.pdf

Stellungnahme
des Kommissariats der deutschen Bischöfe - Katholisches Büro in Berlin -
zum

Gesetzentwurf zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs (BT-Drs. 20/13775) und zum Antrag "Versorgungslage von ungewollt Schwangeren verbessern" (BT-Drs. 20/13776) anlässlich der Anhörung im Rechtsausschuss des deutschen Bundestags am 10.02.2025