Globus
Asylverfahren in Drittstaaten
Mai 2024

Gemeinsame Einschätzung zum Auftrag an das Bundesministerium für Inneres und Heimat zu prüfen, ob Asylverfahren in Drittstaaten durchgeführt werden können

Auf der Ministerpräsidentenkonferenz am 6. November 2023 wurde vereinbart, dass die Bundesregierung prüfen wird, ob die Feststellung des Schutzstatus von Geflüchteten unter Achtung der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) zukünftig auch in Transit- oder Drittstaaten erfolgen kann.
Das Kommissariat der deutschen Bischöfe – Katholisches Büro in Berlin und die Bevollmächtigte des Rates der EKD setzen sich für alternative Ansätze und humane Lösungen ein, die den Schutz der Menschenwürde, der Menschenrechte und die Einhaltung internationaler Abkommen sicherstellen. Auskirchlicher Sicht ist klar: Jede Person, die in einem EU-Land Schutz erbittet, hat Anspruch auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren.1

In Deutschland diskutierte Modelle:
In der aktuellen Debatte stehen hinsichtlich der Feststellung des Schutzstatus von Geflüchteten in Transit- oder Drittstaaten zwei unterschiedliche Modelle zur Debatte, die sich an politische Diskussionen in Großbritannien und in Italien anlehnen.

Nach dem „Ruanda-Modell“ soll die Verantwortung für die Schutzsuchenden und deren Asylverfahren vollständig auf einen Drittsaat übergehen. Das bedeutet, dass alle Schutzsuchenden, die die EU erreichen und um Schutz bitten, auch dann in den Drittstaat verbracht werden, wenn zwischen dem Asylsuchenden und dem Drittstaat keine Verbindung existiert. Dieser Drittstaat soll dann für die Prüfung und Gewährung des Schutzes wie auch für die Rückführung derjenigen Schutzsuchenden zuständig sein, die keinen Schutzstatus erhalten. Das „Ruanda-Modell“ geht auf ein Vorhaben der britischen Regierung zurück und lehnt sich an das Vorgehen Australiens an, das Asylsuchende mit Unterbrechungen seit 2001 nach Papua-Neuguinea und Nauru verbringt.

Im „Albanien-Modell“ sollen die Schutzsuchenden ebenfalls in einen Drittstaat verbracht und in geschlossenen Zentren untergebracht werden. Für die Unterbringung und Versorgung soll der Drittstaat zuständig sein, allerdings sollen in diesen Zentren deutsche Asylverfahren durchgeführt und die Schutzsuchenden nach der Zuerkennung eines Schutzstatus nach Deutschland verbracht werden. Die Schutzsuchenden, die keinen Schutzstatus erhalten, sollen von Albanien in ihre Herkunftsländer überführt werden. Darüber hinaus wäre auch möglich, unter deutscher bzw. europäischer Verantwortung stehende Zentren zu eröffnen und bereits in der Nähe des Herkunftslands zu prüfen, ob Schutzbedarf besteht oder nicht und die Schutzberechtigten anschließend nach Deutschland bzw. in die EU zu bringen.
Das „Albanien- Modell“ wird aktuell von Italien angestrebt, wobei es primär um Geflüchtete geht, die von staatlichen Schiffen aus Seenot gerettet wurden.

Die Pläne zur Auslagerung von Asylverfahren oder Überführung aller Asylsuchenden in einen Drittstaat treffen auf verschiedenste Bedenken und Hürden, darunter die Frage nach der Verantwortung für die Zentren und die Zuständigkeit für die Verfahren im jeweiligen Drittstaat, die Einhaltung von Grund- und Menschenrechten sowie die Vereinbarkeit mit rechtsstaatlichen Standards.

Aktuelle Rechtslage:

1. Recht auf Asyl bzw. Internationalen Schutz
In verschiedenen Rechtsakten des Völkerrechts ist das Recht auf Schutz bzw. Asyl in unterschiedlichen Ausprägungen enthalten. So wird das Recht auf Asyl nach Maßgabe des Genfer Abkommens vom 28. Juli 1951 und des Protokolls vom 31. Januar 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention-GFK) und gemäß nach Art. 18 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, gewährleistet. Weder in der GFK noch in anderen völkerrechtlichen Verträgen wird jedoch festgelegt, welche Staaten primär für die Schutzgewährung verantwortlich sind, es wird ausschließlich festgestellt, welche Verpflichtungen die Staaten treffen, wenn ein Schutzbedarf festgestellt wurde. Innerhalb der Europäischen Union regeln die Vorschriften der Dublin III-Verordnung, welcher Mitgliedstaat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.

2. Non-Refoulement-Gebot
Kern des Flüchtlingsschutzes ist das Non-Refoulement-Gebot gemäß Art. 33 GFK und Art. 3 EMRK wonach sichergestellt werden muss, dass niemand in einen Staat aus- oder zurückgewiesen wird, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sein würde oder ihm Folter oder unmenschliche und erniedrigende Strafen bzw. Behandlungen drohen würden. Diese Gewährleistung muss sowohl bei der Überführung in den „sicheren Drittstaat“ als auch bei der Durchführung des Asylverfahrens im Drittstaat gewährleistet sein.

Es muss demnach sichergestellt sein, dass in dem „sicheren Drittstaat“ keine Verstöße gegen Art. 3 EMRKoder Art. 33 GFK zu befürchten sind. Darüber hinaus muss gemäß Art. 3 EMRK auch gewährleistet sein,dass in dem Drittstaat ein menschenwürdiges Leben möglich ist. Für das von Großbritannien angestrebte Ruanda Modell hat der Supreme Court am 15. November 2023 festgestellt, dass für die Sicherstellung solcher Garantien einfache bilaterale Vereinbarungen mit dem Drittstaat bzw. Zusicherungen des Drittstaats nicht ausreichend sind.2 Vielmehr ist der überführende Staat verpflichtet, die Einhaltung von Art. 33 GFK und Art. 3 EMRK zu überwachen und ihre tatsächliche Umsetzung nachzuweisen. Der Supreme Court hat sich in seinem Urteil nicht zur tatsächlichen Lage in Ruandageäußert.

3. Zulässigkeit eines Asylantrags
Für Asylsuchende, die das Territorium der Europäischen Union erreicht haben, greifen neben diesen grundsätzlichen Gewährleistungen, die weitergehenden Regelungen des europäischen Rechts, wonach zwischen dem Konzept des ersten Asylstaats (Art. 35 AsylVerfRL) und des sicheren Drittstaats (Art. 38 AsylVerfRL) unterschieden wird. Beide Regelungen beziehen sich jedoch lediglich auf die Frage der Zulässigkeit eines Asylantrages.

Gemäß Art. 35 AsylVerfRL kann ein Staat als erster Asylstaat für einen Schutzsuchenden angesehen werden, wenn der Antragsteller in dem betreffenden Staat als Flüchtling anerkannt wurde und er diesen Schutz weiterhin in Anspruch nehmen darf oder ihm in dem betreffenden Staat anderweitig ausreichender Schutz, einschließlich der Anwendung des Non-Refoulement- Gebots nach Art. 33 GFK, gewährt wird. Voraussetzung ist jedoch, dass der betreffende erste Asylstaat in jedem Einzelfall zur Wiederaufnahme des Schutzsuchenden bereit ist.

Gemäß Art. 38 Abs. 1 AsylVerfRL muss für die Anwendung des Konzepts des sicheren Drittstaats sichergestellt sein, dass den betroffenen Schutzsuchenden in diesem Staat keine Gefährdung von Leben und Freiheit aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung und keine Gefahr, einen ernsthaften Schaden im Sinne des Art. 15 QualifikationsRL zu erleiden droht. Darüber hinaus muss das Non-Refoulement-Gebot aus Art. 33 GFK und Art. 3 EMRK eingehalten werden und die Schutzsuchenden müssen in dem Staat tatsächlich die Möglichkeit haben, einen Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu stellen und im Falle der Anerkennung als Flüchtling Schutz gemäß der GFK zu erhalten. Des Weiteren muss gemäß Art. 38 Abs. 2 a) AsylVerfRL eine Verbindung zwischen dem Schutzsuchenden und dem betreffenden Drittstaat bestehen, so dass es aufgrund dieser Verbindung vernünftig erscheint, dass diese Person sich in diesen Staat begibt.3

Das Konzept des sicheren Drittstaats wurde in Deutschland bereits 1993 als Einschränkung des Asylrechts (Art. 16a Abs. 1 GG) durch Art. 16a Abs. 2 GG eingeführt. Demnach kann sich nicht auf das Asylgrundrechtberufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union (EU) oder einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) sichergestellt ist. Staaten außerhalb der EU, auf die diese Voraussetzungen zutreffen, werden durch Gesetz bestimmt; gemäß Anlage I zu § 26a AsylG sind Norwegen und die Schweiz sichere Drittstaaten. Hinsichtlich der Einreise aus einem anderen EU-Mitgliedstaat wird die Drittstaatenregelung des Art. 16a Abs. 2 GG (§26a AsylG) durch die Regelungen der Dublin III-Verordnung überlagert.

Eine Zurückweisung von Asylbewerbern an der Landgrenze aufgrund der Drittstaatenregelung ist unzulässig, da nach den Verfahrensvorschriften der Dublin III-VO festzustellen ist, welcher Staat, der sich am Gemeinsamen Europäischen Asylsystem (GEAS) beteiligt, für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.

Ferner wird nicht als Asylberechtigter im Sinn des Art. 16a Abs. 1 GG anerkannt, wer gemäß § 27 Abs. 1 AsylG bereits in einem sonstigen Drittstaat vor politischer Verfolgung sicher war. Anders als für die Drittstaatenregelung, ist hier eine individuelle Prüfung des Einzelfalls notwendig. Dabei muss insbesondere der Grundsatz der Nichtzurückweisung gewahrt werden (Non-Refoulement-Gebot nach Art 33 GFK in Verbindung mit Art. 3 EMRK).

Sowohl § 26a AsylG als auch § 27 AsylG haben lediglich Auswirkung auf die Anerkennung eines Schutzsuchenden als asylberechtigt im Sinne des Art. 16a GG. Insbesondere enthalten beide Regelungen keine Aussage dahingehend, dass bzw. unter welchen Voraussetzungen Asylsuchende in einen Drittstaat abgeschoben oder zurückgeführt werden können.

Dies ist in Umsetzung der Art. 35 und 38 der Asylverfahrensrichtlinie (AsylVerfRL) unter Anderem nur möglich, wenn die betroffenen Asylsuchenden eine Verbindung zu dem betreffenden Drittstaat aufweisen,so dass es aufgrund dieser Verbindung vernünftig erscheint, dass diese Person sich in diesen Staatbegibt und der Drittstaat zur (Wieder)Aufnahme des Asylsuchenden bereit ist.4 Auch die aktuelle GEAS-Reform hält an dem Verbindungselement fest.

Dementsprechend ist ein Asylantrag nur dann gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 4 AsylG unzulässig, wenn eine der folgenden Voraussetzungen erfüllt, ist: Ein Staat, der bereit ist, den Ausländer wieder aufzunehmen, wird als für den Ausländer sicherer Drittstaat gemäß § 26a AsylG betrachtet; oder ein Nicht-EU-Staat, der bereit ist, den Ausländer wieder aufzunehmen, wird als sonstiger Drittstaat gemäß § 27 AsylG betrachtet. Darüber hinaus müssen die Betroffenen die Möglichkeit haben, ihre grundlegenden Bedürfnisse zu stillen. Sie dürfen demnach weder Hunger oder Krankheit ausgesetzt sein oder am Rande des Existenzminimums dahinvegetieren.5 Das bedeutet, dass Asylsuchenden, denen in ihren Herkunftsländern Verfolgung aufgrund ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder ihrerpolitischen Überzeugung bzw. ein ernsthafter Schaden6 droht, Flüchtlingsschutz (§§ 3 ff. AsylG) bzw. subsidiären Schutz (§ 4 AsylG) oder ein Verbot der Abschiebung (§ 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG) erhalten, wenn der jeweilige Drittstaat nicht zur Aufnahme bereit ist.

Weder die AsylVerfRL noch die Umsetzungsnormen enthalten Regelungen dahingehend, ob und unter welchen Voraussetzungen die materielle Prüfung des Asylrechts an Drittstaaten delegiert werden kann. Die Regelungen machen vielmehr deutlich, dass sich sowohl der europäische als auch der deutsche Gesetzgeber bewusst waren, dass die Verpflichtungen, die sich aus den völkerrechtlichen Vorgaben ergeben in Deutschland und der Europäischen Union umgesetzt und angewandt werden müssen.

Einschätzung der Pläne zur Überführung aller Asylsuchenden in einen Drittstaat:

„Ruanda-Modell“ (Großbritannien und Dänemark bzw. Australien)
Gegen das „Ruanda-Modell“ spricht der Grundgedanke der einschlägigen Vorschriften der AsylVerfRL undauch des Neuen Pakts für Migration und Asyl zur Zulässigkeit eines Asylantrags, nach denen eine Verbindung zwischen einem Asylsuchenden und einem sicheren Drittstaat bestehen sollte und dass der reine Transit durch einen Staat nicht ausreicht.

Ruanda erfüllt weder die Kriterien, die für eine Einstufung als sicherer Drittstaat erfüllt sein müssen, noch ist davon auszugehen, dass alle Betroffenen die Möglichkeit haben, ihre grundlegenden Bedürfnisse zu stillen. Denn Art. 3 EMRK erfordert auch, dass die Betroffenen weder Hunger oder Krankheit ausgesetzt sein werden oder am Rande des Existenzminimums dahinvegetieren.7 Ruanda ist nach wie vor in unterschiedliche gewaltsame Konflikte mit Nachbarländern verstrickt. Mehr als die Hälfte der einheimischen Bevölkerung gelten als arm8 31,6 % sind unterernährt9, etwa 17 % der Erwerbsbevölkerung sind arbeitssuchend.10 Insbesondere die menschenrechtliche Lage in Ruanda steht der Verbringung von Schutzsuchenden dorthin entgegen. NGOs, Kirchen und internationale Beobachter berichten immer wieder von außergerichtlichen Hinrichtungen, Folter und dem Verschwinden von Systemkritikern11 und das US-amerikanische Institut Freedom House stufte Ruanda 2022 im Bereich der politischen Rechte und bürgerlichen Freiheiten mitinsgesamt 23 von 100 möglichen Punkten als „unfrei“ ein.12

Sollten an den Fluchtrouten aus den Hauptherkunftsländern tatsächlich Staaten gefunden werden, in denen die GFK und die EMRK eingehalten werden, müsste gemäß Art. 13 EMRK darüber hinaus sichergestellt werden, dass ein rechtsstaatliches Verfahren gewährleistet ist und die Betroffenen Zugang zu Rechtsbeistand haben. Um Menschenrechtsverletzungen zu verhindern, müsste die Umsetzung engmaschig beobachtet werden.

Eine etwaige Unterbringung der Asylsuchenden in geschlossenen Aufnahmeeinrichtungen, ohne die Möglichkeit den Drittstaat zu verlassen, könnte eine Freiheitsentziehung darstellen und unseres Erachtens eine Verletzung des Art. 2 Abs. 2 EMRK und Art. 5 EMRK wegen „willkürlicher und automatischer Inhaftierung“ ohne Einzelfallentscheidung und Verhältnismäßigkeitsprüfung bedeuten. Das Vorgehen Australiens zeigt, dass die betroffenen Menschen teilweise jahrelang festgehalten wurden.

Auf politischer Ebene würde ein derartiges Vorgehen zudem Deutschland bzw. die EU erpressbar machen, da den Staaten das Druckmittel in die Hand gegeben wird, die Schutzsuchenden zukünftig nicht mehraufzunehmen bzw. die Schutzsuchenden (erneut) in die EU reisen zu lassen.

Die Idee, Asylverfahren außerhalb Deutschlands bzw. außerhalb der EU durchzuführen, ist nicht neu. Die ersten Vorschläge zur Durchführung externer Asylverfahren in Transitstaaten gab es bereits in den 1980er Jahren; seitdem wurden sie immer wieder aufgegriffen, z.B. von Tony Blair (2003) und Otto Schily (2005). Auch Innenminister Thomas De Maizière sprach im Januar 2017 davon, dass im Falle eines „Massenzustroms“ Flüchtlinge „gar nicht erst nach Europa gebracht werden, sondern zurückgebracht werden an sichere Orte außerhalb Europas”. Bisher ist die Idee der Auslagerung der Asylverfahren entweder an der mangelnden Vereinbarkeit mit der GFK und EMRK und europäischem Recht oder anfehlender Bereitschaft der Drittstaaten zur Zusammenarbeit gescheitert. In Großbritannien, wo die Anforderungen der Verbindung zum Drittstaat aus dem GEAS nicht gelten, wird aktuell diskutiert, aus der EMRK auszutreten oder die Urteile des EGMR in diesen Punkten nicht mehr umzusetzen, um das Ruanda-Modell zu ermöglichen.

„Albanien-Modell“ (Italien)
Das zweite Modell soll aktuell in Albanien umgesetzt werden, wobei Italien nicht alle Schutzsuchenden nach Albanien bringen möchte, sondern nur diejenigen, die von staatlichen Schiffen aus Seenot gerettet wurden.

Es ist noch unklar, ob das Kriterium der Verbindung zum sicheren Drittstaat aus Art. 38 Abs. 2 a) AsylVerfRL für das von Italien angestrebte Modell greifen würde, da ein Asylantrag zwar gegenüber italienischen Hoheitsträgern aber nicht auf dem Hoheitsgebiet Italiens gestellt wurde; es werden nurdiejenigen Schutzsuchenden erfasst, die von staatlichen Stellen auf hoher See gerettet werden.

Die Durchführung italienischer, deutscher oder europäischer Asylverfahren außerhalb des eigenen Hoheitsgebiets birgt erhebliche logistische und rechtliche Herausforderungen. So ist unklar, wie in einem Drittstaat ein rechtsstaatliches Verfahren mit Zugang zu Rechtsberatung und Widerspruchsverfahren gewährleistet werden soll. Italien verknüpft mit der Durchführung des Albanien-Modells den Wunsch, Asylverfahren schneller beenden und ablehnend bescheiden zu können, da die italienische Regierung davon ausgeht, dass europarechtliche Regelungen in Albanien nicht gelten. Es solle bei der Durchführungder Asylverfahren „lediglich“ nationales italienisches Recht zur Anwendung kommen. Allerdings beruhen die aktuellen italienischen Asylrechtsgesetze auf der Umsetzung der EU-Regelungen zum Asylrecht. Unklar ist jedoch, ob Italien mangels Anwendbarkeit von EU-Recht, in den Asyl-Zentren in Albanien von diesen EU-Normen abweichen oder andere Asylverfahrens-regelungen für diese Zentren erlassen kann.

Bei der Umsetzung von Asylverfahren in Drittstaaten würde sich darüber hinaus die Frage nach der Sicherheit der Asylsuchenden stellen. Wie soll etwa verhindert werden, dass es zu Konflikten mit der einheimischen Bevölkerung kommt? Außerdem ist fraglich, wie mit Asylsuchenden umgegangen werden soll, die sich direkt an die Aufnahmezentren wenden und dort einen Antrag auf Asyl stellen. Zudem bestehtdie Gefahr, dass die Zentren schnell überfüllt sind.

Solche Entwicklungen könnten die staatliche Souveränität in Frage stellen, wie die Stiftung für Wissenschaft und Politik (SWP) bereits 2017 betonte.13 Selbst bei erheblichen zusätzliche Finanzhilfen dürften die Stabilitätsinteressen der Drittstaaten gegenüber der Migrationskontrolle überwiegen.

Bewertung
Die Bewertung beider Modelle zeigt, dass sie kein gangbarer Weg sind, um die aktuellen Herausforderungen von Asyl und Flucht zu bewältigen. Dazu ist schon die Annahme, dass die Rückführung einiger weniger Personen zu einem generellen Rückgang der Zugangszahlen führen wird, fraglich. Die Erfahrungen, die Australien mit dem Vorläufer des „Ruanda-Modells“ gemacht hat, lassen sichauch wegen der geografischen Besonderheiten Australiens und Naurus (beide sind für Schutzsuchende ausschließlich auf dem Seeweg zu erreichen) nicht auf den europäischen Kontinent übertragen.

Das „Ruanda-Modell“ und das „Albanien-Modell“ dürfen nicht zu einer Umgehung der Verpflichtungen ausder GFK, der EU-Grundrechtecharta und der EMRK führen. Das individuelle Asylrecht darf nicht ausgehöhlt und der Zugang zu diesem nicht durch eine Auslagerung des Asylverfahrens erschwert werden.

Die Kirchen setzen sich für alternative Ansätze und humane Lösungen ein, die den Schutz der Menschenwürde, der Menschenrechte und die Einhaltung internationaler Abkommen sicherstellen. Aus kirchlicher Sicht ist klar: Jede Person, die in einem EU-Land Schutz erbittet, hat Anspruch auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren.14

Dazu gehört, die Integration der Menschen zu fördern, denen bereits Schutz gewährt wurde, ihnen einenschnellen und unbürokratischen Zugang zum Arbeitsmarkt zu gewähren und legale Zuwanderungswege zu schaffen, anstatt auf Abschottung, Abschreckung und Auslagerung des Asylverfahrens zu setzen.

Berlin, den 23. April 2024

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1 Vgl. das Gemeinsame Wort der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der EKD in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland, „Migration menschenwürdig gestalten“, S. 164-169 und 210-211, abrufbar unter: https://www.dbk-shop.de/media/files_public/fb008766962fc69a8c0877da1d9ebe61/DBK_627_neu.pdf.
2 Abrufbar unter: https://www.supremecourt.uk/cases/docs/uksc-2023-0093-etc-judgment.pdf.
3 Auch nach der Reform des GEAS muss eine Verbindung zwischen Asylsuchendem und Drittstaat wie Voraufenthalt oder familiäre Beziehungen vorliegen, der bloße Transit genügt nicht.
4 In der AsylVerf-VO wird hier exemplarisch ein längerer Voraufenthalt oder die Anwesenheit von Familienmitgliedern im Drittstaat genannt.
5 BVerwG, Urteil vom 15.12.1987 – 9 C 285/86.
6 wie etwa die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe. Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.
7 BVerwG, Urteil vom 15.12.1987 – 9 C 285/86.
8 Abrufbar unter: https://hdr.undp.org/system/files/documents/hdp-document/2023mpireporten.pdf.
 Abrufbar unter: https://www.welthungerhilfe.de/fileadmin/pictures/publications/de/studies-analysis/2023-welthunger- index-whi.pdf.
10 Abrufbar unter: https://de.tradingeconomics.com/rwanda/unemployment-rate.
11 Abrufbar unter: https://www.amnesty.de/informieren/amnesty-report/ruanda-2022#section-23600159.
12 Abrufbar unter: https://freedomhouse.org/country/rwanda/freedom-world/2022.
13 www.swp-berlin.org/publications/products/aktuell/2017A38_bsg.pdf
14 Vgl. das Gemeinsame Wort der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der EKD in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland, „Migration menschenwürdig gestalten“, S. 164-169 und 210-211, abrufbar unter: https://www.dbk-shop.de/media/files_public/fb008766962fc69a8c0877da1d9ebe61/DBK_627_neu.pdf.

Einschätzung
des Kommissariats der deutschen Bischöfe, Katholisches Büro in Berlin
und
der Bevollmächtigten des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland bei der Bundesrepublik Deutschland & der Europäischen Union
zum

Auftrag an das Bundesministerium für Inneres und Heimat zu prüfen, ob Asylverfahren in Drittstaaten durchgeführt werden können