Globus
Sichere Herkunftsstaaten
August 2023

Gemeinsame Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Bestimmung Georgiens und der Republik Moldau als sichere Herkunftsstaaten

I.  Grundsätzliches

Die beiden großen Kirchen danken dem Bundesministerium des Innern und für Heimat für die Gelegen- heit, zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Bestimmung Georgiens und der Republik Moldau als sichere Drittstaaten Stellung zu nehmen. Aufgrund der extrem kurzen Frist von weniger als zwei Werk- tagen, ist es jedoch nicht möglich, den Referentenentwurf inhaltlich vertieft und angemessen zu prüfen und etwa Informationen unserer Partner vor Ort einzuholen. Ein solches Vorgehen untergräbt die wich- tige Funktion des Beteiligungsverfahrens, ohne dass hierfür ein Anlass zu erkennen wäre. Die Umsetzung der vorgeschlagenen Regelung ist nicht eilbedürftig und in dem Anschreiben wird die kurze Frist nicht einmal angesprochen. Die Kirchen behalten sich vor, im Laufe des Verfahrens noch weitere Aspekte vor- zutragen.

Die Kirchen haben seit der Einführung des Konzepts der sicheren Herkunftsstaaten ihre Skepsis zum Ausdruck gebracht.1 Diese Kritik möchten sie anlässlich des Referentenentwurfes erneuern:

Jeder Asylantrag muss unvoreingenommen und gründlich geprüft werden. Eine Umkehr der Beweislast zulasten der Asylsuchenden – hier aus Georgien und der Republik Moldau – wird dem aber nicht gerecht. Auch wenn es dazu im Gesetzesentwurf heißt: „Hinsichtlich des Ablaufs und der Qualität des Asylverfahrens bis zur Asylentscheidung unterscheidet sich das Asylverfahren demnach nicht von dem für andere, nicht als sicher bestimmte Herkunftsländer“2, spiegelt das nicht die Realität wider. Denn bei der Prüfung des Antrages von Personen aus sicheren Herkunftsstaaten gilt die Regelvermutung der Verfolgungsfreiheit, diese kann von den Antragstellenden widerlegt werden. Die Darlegungslast verschiebt sich somit zuungunsten der Asylsuchenden. Diese Überlegung bestätigt der Gesetzentwurf, indem in der Begründung von einer Rechts- bzw. Verwaltungsvereinfachung (also einer Verkürzung der Prüfung) ausgegangen wird, eben weil die Beweislast umgekehrt wird.3 Die Rechtsfolgen eines abge- lehnten Asylantrages bei Asylsuchenden aus einem als sicher eingestuftem Staat sind drastisch und verkürzen die Rechte der Betroffenen stark: Die offensichtliche Unbegründetheit (§ 29a Abs. 1 S. 1 AsylG) führt unter anderem zur Verkürzung der Rechtsmittelfristen und zu einem beschleunigten Verfahren. Die Kirchen halten auch dies für eine Verengung der umfassenden Prüfung des Rechts auf Asyl.

Im Referentenentwurf werden die geringen Anerkennungsquoten von Asylsuchenden aus der Republik Moldau und Georgien genannt, um eine Einstufung als sicheres Herkunftsland zu erklären.4 Allerdings bedeutet nach Auffassung der Kirchen eine geringe Schutzquote in Deutschland trotz verhältnismäßig hoher Zuzugszahlen aus diesem Land nicht, dass rechtsmissbräuchlich Asylanträge gestellt werden. So unterscheiden sich die Anerkennungsquoten in Europa teilweise stark: die Anerkennungsquote von ge- orgischen Staatsangehörigen in Belgien lag beispielsweise bei ca. 15 % im Jahr 2022 und bei 8,8 % in Frankreich5, also wesentlich höher als in Deutschland. Dieser Blick zu den Nachbarn zeigt, dass die An- erkennungsquote hohen Schwankungen unterliegen kann und deswegen nicht entscheidend sein sollte für die Bestimmung als sicheres Herkunftsland.

Unabhängig von den allgemeinen Überlegungen halten die Kirchen die Annahme für unzutreffend, dass durch die Einstufung der beiden Länder als „sicher“, die deutschen Aufnahmestrukturen signifikant ent- lastet werden. Denn ein Blick auf die Antragszahlen zeigt, dass im Jahr 2022 lediglich 14.000 Asylanträge weniger gestellt worden wären, wenn aus Georgien und der Republik Moldau kein Antrag eingegangen wäre. Bei einer Gesamtantragszahl von 244.132 im Jahr 2022 wäre das keine entscheidende Summe. Schließlich regen die beiden Kirchen an, darüber nachzudenken, die Republik Moldau und Georgien in § 26 Abs. 2 BeschV aufzunehmen, also die sogenannte „Westbalkanregelung“ zu erweitern. Denn wie auch der Referentenentwurf anmerkt, hat dieser legale Weg nach Deutschland zu einem erheblichen Rückgang der Asylanträge aus den Ländern des Westbalkan (Bosnien und Herzegowina, Mazedonien und Serbien; sowie Albanien, Kosovo und Montenegro) geführt.6

Die Einstufung als sicheres Herkunftsland verspricht also nicht den vorgesehenen Erfolg und schränkt aber die Rechte Asylsuchender stark ein, auch deswegen sprechen sich die Kirchen dagegen aus.

II.  Zu den beiden Herkunftsstaaten im Einzelnen:

Neben den grundsätzlichen Erwägungen, die aus Sicht der Kirche gegen die Einstufung bestimmter Staaten als „sicher“ sprechen, haben die Kirchen erhebliche Zweifel, dass die durch Art. 16a Abs. 3 GG und Art. 36, 37 sowie Anlage I AsylVerfRL7 aufgestellten Kriterien für die Einstufung als sicherer Herkunfts- staat für Georgien und die Republik Moldau tatsächlich vorliegen. Demnach kann ein Staat nur dann als sicheres Herkunftsland eingestuft werden, wenn gewährleistet erscheint, dass dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Darüber, ob diese Voraussetzungen gegeben sind, hat der Gesetzgeber aufgrund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse in dem betreffenden Land zu befinden.8

So hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 14. Mai 1996 festgestellt, dass für die Bestimmung eines Staates zum sicheren Herkunftsstaat Sicherheit vor politischer Verfolgung landesweit und für all Personen- und Bevölkerungsgruppen bestehen muss. Durch die geforderte Sicherheit auch vor unmenschlicher oder erniedrigender Bestrafung oder Behandlung wird sichergestellt, dass den flie- ßenden Übergängen zu asylrechtlich erheblichen Verfolgungsmaßnahmen Rechnung getragen wird.9

Beide Länder erfüllen als EU-Beitrittskandidat (Moldau) bzw. mit Beitrittsperspektive (Georgien) zumin- dest die nötigen Voraussetzungen zur Rechtslage. Die Kirchen sind jedoch der Ansicht, dass in beiden Ländern die Rechtsanwendung und allgemeinen politischen Verhältnisse eine Einordnung als sicheres Herkunftsland nicht zulassen.

Die Gesetzesbegründung legt dar, dass es sowohl in Georgien als auch in der Republik Moldau soge- nannte abtrünnige Gebiete gibt, in denen die Sicherheit vor politischer Verfolgung oder unmenschlicher oder erniedrigender Bestrafung nicht sichergestellt werden kann.10 Verfolgungsfreiheit bestünde ledig- lich für die Landesteile, die unter Kontrolle der jeweiligen Regierung stehen. Eine Auseinandersetzung mit den vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Kriterien findet nur insoweit statt, als Vergleiche zur Situation in Zypern aufgestellt werden. Die beiden Kirchen sind verwundert, dass die geopolitische Lage rund um die abtrünnigen Gebiete Südossetien, Abchasien und Transnistrien überhaupt nicht er- wähnt wird. Es scheint in der aktuellen Situation nicht angeraten, Staaten, die unter einem schwelenden Konflikt mit Russland leiden, als sichere Herkunftsstaaten einzuordnen.

Georgien
In Georgien ist insbesondere die Gruppe von LGBTIQ+ besonderen Diskriminierungen ausgesetzt, darauf geht der Referentenentwurf kurz ein, geht aber weiter davon aus, dass Georgien auch für diese Gruppe sicher ist.11 Auf Berichte von Menschenrechtsorganisationen12, Gerichtsurteile, die Personen aus dieser Gruppe internationalen Schutz oder ein Abschiebeverbot zusprechen13 oder die Tatsache, dass Belgien das Land wegen der Situation der LGBTIQ+-Personen gerade von der Liste der sicheren Herkunftsstaaten gestrichen hat14, geht der Referentenentwurf nicht ein.

Republik Moldau:
Für die Republik Moldau ist auf die besonders unsichere Lage von Roma hinzuweisen. Auf die potenzielle Verfolgungsgefahr für diese Gruppe geht der Entwurf nicht ein, obwohl es immer wieder Berichte15 von Menschenrechtsverletzungen sowie Diskriminierungen gibt und staatliche Stellen nicht in der Lage zu sein scheinen, diese zu verhindern. Auch der Antiziganismusbeauftragte der Bundesregierung hat am 11.Juni 2023 auf die Gefahr von Roma in Moldawien hingewiesen.16 Schließlich berichten unsere Part- nerorganisationen immer wieder vom großen Problem des Menschenhandels in der Republik Moldau. Aufgrund der Verflechtung der Täter mit örtlichen Strukturen oder der Familien der Opfer haben Opfer von Menschenhandel, die in die Republik Moldau zurückkehren, kaum eine Chance, dort wieder Fuß zu fassen.17

Das lässt die gebotene Befassung des Gesetzgebers mit der tatsächlichen Rechtsanwendung vermissen, die den starken Rechtsfolgen angemessen wäre. Die Kirchen lehnen eine Einstufung der Republik Mol- dau und Georgiens als sichere Herkunftsstaaten ab.

Berlin, den 25. August 2023

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1 Bspw. Gemeinsame Stellungnahme des Kommissariats der deutschen Bischöfe und des Bevollmächtigten des Rates der EKD zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Asylverfahrensgesetzes (Einstufung von Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Serbiens als Sichere Herkunftsstaaten) vom 28. Februar 2014, https://www.kath-buero.de/files/Kath_theme/Stellungnah- men/2014/Stellungnahme%20der%20Kirchen-AsylVfG-2014-02-28.pdf; Gemeinsame Stellungnahme des Kommissariats der deutschen Bischöfe und des Bevollmächtigten des Rates der EKD, zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Asylverfah- rensgesetzes, des Asylbewerberleistungsgesetzes und weiterer Gesetze (Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz) (Einstufung von Albanien, Kosovo und Montenegro zu Sicheren Herkunftsstaaten) vom 23. September 2015, https://www.kath-buero.de/fi- les/Kath_theme/Stellungnahmen/2015/15-09-23%20Stellungnahme%20der%20Kirchen-Asylbeschleunigungsgesetz.pdf; Ge- meinsame Stellungnahme des Kommissariats der deutschen Bischöfe und des Bevollmächtigten der EKD zur Bestimmung von Algerien, Marokko und Tunesien als sichere Herkunftsstaaten vom 2.Februar 2016, https://www.kath-buero.de/fi- les/Kath_theme/Stellungnahmen/2016/Stellungnahme%20der%20Kirchen-Maghrebstaaten-sichere%20Herkunftsstaaten- 2016-2-2.pdf.

2 Referentenentwurf S. 6.

3 Referentenentwurf. S. 10.

4 Referentenentwurf, S. 1.

5 Eurostat, Stand der Zahlen: 10.7.2023, erstinstanzliche Entscheidungen über Asylanträge nach Staatsangehörigkeit, Alter und Geschlecht.

6 Referentenentwurf, S. 10.

7 Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuer- kennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Neufassung).

8 BVerfG Urteil vom 14.5.1996 – 2 BvR 1507 und 1508/93 – BVerfGE 94, S. 115 – 166.

9 BVerfG Urteil vom 14.5.1996 – 2 BvR 1507 und 1508/93 – BVerfGE 94, S. 115 – 166., Leitsatz Nr. 2b) und Rn 75, abrufbar unter juris.

10 Referentenentwurf, S. 7.

11 Referentenentwurf, S. 20.

12 VGl. bspw. Nachweise bei VG Berlin, Urteil v. 21.11.2019, 38 K 170.19 A, Rn. 40 ff. wonach homosexuelle / transsexuelle in Georgien aufgrund ihrer sexuellen Orientierung verfolgt werden; sh. auch Amnesty International 2022 (https://www.amne- sty.de/informieren/amnesty-report/georgien-2022), human rights watch (https://www.hrw.org/world-report/2022/country- chapters/georgia) oder auch aktuelle Geschehnisse wie die Zerschlagung einer Pride Parade ohne polizeilichen Schutz: https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/pride-fest-georgien-abgebrochen-100.html.

13 Siehe nur, OVG Berlin, Urteil v. 17.08.2020, 12 N 8/20; VG Berlin, Urteil vom 19.02.2020 – 38 K 171.19 A; VG Berlin, Urteil v. 21.11.2019, 38 K 170.19 A.

14 Vgl. entsprechende Meldung beim LSVD, https://www.lsvd.de/de/ct/9887-Belgien-streicht-Georgien-von-Liste-sicherer- Herkunftslaender.

15 Vgl. bspw. United States Department of State, Bureau of Democracy, Human Rights and Labor (Hg.): Moldova 2022 Human Rights Report, S. 38f.; https://www.state.gov/wp-content/uploads/2023/02/415610_MOLDOVA-2022; Studie von ProAsyl und dem Flüchtlingsrat Berlin, https://www.proasyl.de/news/diskriminiert-und-abgelehnt-romnja-aus-moldau/.

16 https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/aktuelles/alle-meldungen/mehmet-daimagueler-fordert-sichere-unterbringung-gefluechtet er-roma-226878.

17 https://www.iom.int/preventing-trafficking-and-protecting-victims-moldova.

Stellungnahme
des Kommissariats der deutschen Bischöfe, Katholisches Büro in Berlin
und
der Bevollmächtigten des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland bei der Bundesrepublik Deutschland & der Europäischen Union
zur

Bestimmung Georgiens und der Republik Moldau als sichere Herkunftsstaaten