Gemeinsame Stellungnahme zum Vorschlag für eine VO über Qualitäts- und Sicherheitsstandards für zur Verwendung beim Menschen bestimmte Substanzen menschl. Ursprungs

SoHO-Verordnung
September 2023

Mit Sorge sehen wir den vorgelegten Entwurf des Europäischen Parlaments und einige Änderungsanträge für eine „Verordnung über Qualitäts- und Sicherheitsstandards für zur Verwendung beim Menschen bestimmten Substanzen menschlichen Ursprungs“ [COM(2022)0338 – C9-0226/2022 – 2022/0216(COD); im Folgenden: SoHO-Verordnung]. Diese Verordnung wird grundsätzliche Weichen für den künftigen Umgang mit vorgeburtlichem menschlichem Leben im europäischen Transplantations- und Arzneimittelrecht stellen, die laufende Diskussion zur Stärkung der EU-Gesundheitsunion beeinflussen und in den Mitgliedstaaten der EU zahlreiche ethische wie verfassungsrechtliche Kollisionsfragen aufwerfen.

Wir als katholische Kirche sind mit vielen anderen und aus vielen Gründen der Überzeugung, dass menschliches Leben von Anhang an, also auch das ungeborene Leben, „eigene Würde, eigenes Recht und eigenständigen Schutzanspruch [besitzt], der durch die Rechte anderer oder besondere ihm entgegenstehende Umstände nicht aufgewogen werden können.“[1]Daher wollen wir auf die Tragweite der Konsequenzen der SoHO-Verordnung unter Berücksichtigung der vom ENVI-Ausschuss angenommenen Kompromiss-Änderungsanträge aufmerksam machen.

1. Menschliches Leben ist nicht nur eine „Substanz menschlichen Ursprungs“
Mit Blick auf das Ziel der unmittelbar in allen Mitgliedstaaten anwendbaren EU-Verordnung, „das volle Potential von neuartigen Formen der Verarbeitung und Verwendung von Blut, Gewebe und Zellen für die Patienten auszuschöpfen“ und die „Versorgung der Patienten“ sicherzustellen, wird der neu eingeführte Begriff der „Substanz menschlichen Ursprungs“ (englisch: Substance of Human Origin, im Folgenden: SoHO) sehr weit gefasst.

Die Definition von „SoHO“ nach Artikel 3 Nr. 5 des Verordnungsentwurfs beschränkt sich im Bereich der Reproduktionsmedizin nicht nur auf nicht befruchtete Keimzellen (Samen- und Eizellen sowie präparierte Eizellen), sondern erfasst auch Embryonen und Föten. Relevant ist dies z.B. für die Entnahme und Verwendung von verstorbenen oder getöteten Embryonen und Föten wie auch die alternative Verwendung von in vitro hergestellten, überzähligen Embryonen, die bewusst nicht in den Uterus der Frau implantiert werden. Aufgrund der weiten Formulierung ist zu befürchten, dass sogar natürlich empfangene, noch nicht selbständig lebensfähige Kinder in vorgeburtlichen Entwicklungsphasen unter den Begriff der SoHO subsumiert werden können. Denkbar ist auch, dass menschliches Leben, das durch medizinische oder labortechnische Maßnahmen, aber nicht zum Zwecke der Austragung erzeugt worden ist, künftig von der neuen EU-Verordnung erfasst werden wird.

In all diesen Fällen degradiert die SoHO-Verordnung ungeborenes menschliches Leben zur bloßen „Substanz menschlichen Ursprungs“ bzw. – je nach Entstehung – zu einem „SoHO-Präparat“ und stellt diese in der Regulierung ohne weitere Differenzierung auf eine Stufe mit Hautzellen, Speichel oder Blutplasma. Damit werden menschliche Subjekte unter Missachtung ihrer Würde zu bloßen Objekten erklärt.

Da davon auszugehen ist, dass die SoHO-Verordnung als ein wichtiger Baustein auch für andere EU-Rechtsakte die Weiterentwicklung z.B. im Arzneimittel- und Reproduktionsrecht mit ihren Definitionen beeinflussen wird, ist zu befürchten, dass die in der SoHO-VO vorgesehene Gleichstellung menschlichen Lebens mit Hautzellen, Speichel oder Blutplasma künftig auch in diesen Rechtsgebieten fortgeschrieben werden wird. Schließlich ist es nicht ausgeschlossen, dass über die unionsrechtskonforme Auslegung von Begriffen im nationalen Recht (wie z.B. „Gewebe“ oder „Gewebezubereitung“) künftig auch mitgliedstaatliche Rechtsordnungen, die dem Schutz des ungeborenen menschlichen Lebens ein hohes Gewicht einräumen, von der dann im Unionsrecht verankerten Degradierung menschlichen Lebens überformt werden.[2]

Daher
– muss im Wortlaut des Artikel 3 Nr. 5 rechtssicher klargestellt werden, dass weder Embryonen, noch Föten oder fötales Gewebe, unabhängig davon ob es durch natürliche Empfängnis oder durch künstliche Befruchtung zu Fortpflanzungs- oder anderen Zwecken entstanden ist, unter den Begriff der „SoHO“ fallen;
– muss die im Kompromiss-Änderungsantrag 80 enthaltene Erweiterung um „Embryonen aus der Befruchtung“ und Einführung einer neuen Definition „SoHo für die Fortpflanzung“ anstelle von „reproduktive Zellen“ i.S.d. Artikel 3 Nr. 61 wieder gestrichen werden.

2. Menschliches Leben ist nicht teilbar
Besondere Vorkehrungen trifft der Kommissionsentwurf der SoHO-Verordnung (Vorschriften des Kapitel VII der SoHO-Verordnung) lediglich zum Gesundheitsschutz für Föten und geborene Kinder, die das Ergebnis medizinisch unterstützter Fortpflanzung sind. Diese betreffen u.a. den Schutz vor der Übertragung von Krankheitserregern, Toxinen oder genetischen Krankheiten oder vor Risiken nichtübertragbarer Krankheiten. In der Fassung des ENVI-Kompromisses wird der Anwendungsbereich dieser Vorkehrungen sogar nochmal zusätzlich reduziert und auf geborene Kinder beschränkt. Menschliches Leben ist aber nicht teilbar. Der Embryo ist darauf angelegt, sich kontinuierlich und ohne signifikante Einschnitte zu einem Menschen zu entwickeln. Bereits mit der Kernverschmelzung entsteht ein individuelles Wesen mit einer eigenen DNA. Die im Entwurf der SoHO-VO vorgenommenen Klassifizierung und Zweiteilung zwischen SoHO (als menschlicher Rohstoff) und Nachkommen führt im Ergebnis jedenfalls dazu, dass Eizellen, die ab dem Stadium der Befruchtung geeignet sind, den Prozess der Entwicklung eines Menschen in Gang zu setzen, aber – aus welchem Grunde auch immer – nicht als Kind geboren werden, nur noch Rohstoffe ohne menschliche Subjektqualität sind. Die Folge ist, dass bei Verhältnismäßigkeitsprüfungen diese auch nicht mehr besonders in der Abwägung mit anderen entgegenstehenden Interessen (Gesundheit von Spendern und Empfängern, Forschungs- und Handelsfreiheit) berücksichtigt werden müssen.

Daher
– muss Kompromiss-Änderungsantrag 60, der im Zusammenhang mit dem allgemeinen Begriff der Nachkommen nach Artikel 3 Nummer 11 der SoHO-Verordnung mit Artikel 3 Nr. 11a eine neue Unterscheidung einführt, nämlich die der „ungeborenen Nachkommen aus medizinisch unterstützter Fortpflanzung“ in Abgrenzung zu den geborenen Nachkommen, die nach Änderungsantrag 59 nur noch Kinder umfassen soll, wieder gestrichen werden;
– muss die Definition der „Nachkommen aus medizinisch unterstützter Fortpflanzung“ wie folgt geändert werden:

(11) ‘offspring from medically assisted reproduction’ means fetuses and children that are born following medically assisted reproduction;(11) ‘offspring from medically assisted reproduction’ means embryos and fetuses conceived by medically assisted reproduction as well as and children that are born following medically assisted reproduction;

 

3. Menschliches Leben erhält seinen Wert nicht durch Zweckbestimmung
Darüber hinaus kann es für den Schutz von menschlichem Leben nicht darauf ankommen, ob diese durch einen labortechnischen oder medizinischen Eingriff zur Förderung der Empfängnis entstanden sind. Menschliches Leben hat aus sich heraus eigenständigen Wert. Relevant wird dies insbesondere bei Fragen der „embryonenverbrauchenden“ Forschung und Arzneimittelherstellung.

Daher
– muss die im Kompromiss-Änderungsantrag 59 bei Artikel 3 Nr. 10 eingefügte Erweiterung gestrichen
– und an dessen Stelle folgende Ergänzung in Artikel 3 Nr. 10 eingefügt werden:

(10) ‘medically assisted reproduction’ means the facilitation of conception by intra-uterine insemination of sperm, in vitro fertilisation or any other laboratory or medical intervention that promotes conception;10) ‘medically assisted reproduction’ means the facilitation of conception by intra-uterine insemination of sperm, in vitro fertilisation or any other laboratory or medical intervention that promotes conception or creates an embryo;

 

4. Menschliches Leben darf nicht selektiert werden
Schließlich wirft auch die Ausgestaltung des in Kapitel VII der SoHO-Verordnung vorgeschlagenen Schutzes von SoHO-Empfängern und Nachkommen aus medizinisch unterstützter Fortpflanzung weitere Fragen auf[3]. Denn SoHO-Einrichtungen werden nach Artikel 58 SoHO-Verordnung verpflichtet, die Übertragung u.a. von genetischen Krankheiten auf Empfänger und Nachkommen auszuschließen. Wie dies ohne eine Testung von Embryonen oder Föten auf solche Krankheiten zum Zwecke der Selektion möglich sein soll, ist unklar. Eine solche Selektion verstößt aber gegen die Menschenwürde. Ferner stellt sich die Frage nach dem Umfang der geforderten genetischen Voruntersuchungen und der Vereinbarkeit einer möglichen genetischen Test-Pflicht mit dem Selbstbestimmungsrecht von Spender und Empfänger.

5. Abweichende ethische Entscheidungen der EU-Mitgliedstaaten müssen weiterhin möglich sein
Ob und inwieweit ein EU-Mitgliedstaat wenigstens bestimmte Tätigkeiten mit Bezug zu SoHO vollständig verbieten kann, wird bisher nur im Erwägungsgrund 2 Satz 2 sowie im Erwägungsgrund 16 thematisiert. Hier heißt es, dass die Verordnung nicht in die von Mitgliedstaaten getroffenen ethischen Entscheidungen, die den Einsatz oder die Einschränkung des Einsatzes bestimmter Arten von SoHO oder bestimmter Verwendungszwecke betreffen, eingreifen sollte. Diese Formulierung muss im operativen Verordnungstext, am besten in Artikel 1, aufgenommen werden.

Jedem Mitgliedstaat muss es darüber hinaus weiterhin möglich sein, nicht nur die Zulassung selbst, sondern auch die Anerkennung der von einem anderen EU-Mitgliedstaat erteilten Zulassung eines SoHO-Präparats zu verweigern, wenn dieses Präparat, seine Herstellung oder Weiterverwendung, auf seinem Hoheitsgebiet verboten wurde. Eine entsprechende Klarstellung könnte am besten in Artikel 20 Absatz 3 vorgenommen werden.

Schließlich muss jeder Mitgliedstaat weiterhin strengere und differenziertere Vorschriften in den von der SoHO-Verordnung erfassten Bereichen erlassen können. Dies betrifft z.B. besondere Aufklärungs- und Hinweispflichten, welche sich auf den Schutz des Embryos – unabhängig von seiner Überlebensfähigkeit oder der Art und Weise seiner Entstehung – beziehen, etwa den Hinweis auf die Möglichkeit einer Embryonenadoption. Solche strengeren Maßnahmen dürften gemäß Artikel 4 des SoHO-VO-Entwurfs in seiner von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Fassung noch möglich sein. Bei Annahme des Kompromiss-Änderungsantrags 90 zu Artikel 4 Absatz 1 könnten solche nationalen Vorgaben aber künftig ausgeschlossen sein, denn hiernach sollen strengere Maßnahmen nur dann möglich sein, wenn sie „auf wissenschaftlichen Erkenntnissen“ beruhen.

Daher
– ist der Kompromiss-Änderungsantrags 90 zu Artikel 4 Absatz 1 zu streichen;
– ist der in Erwägungsgrund 2 S. 2 sowie der Erwägungsgrund 16 zum Ausdruck kommende Grundsatz durch Klarstellung im operativen Verordnungstext – namentlich in Artikel 1, Artikel 4 Abs. 1 und Artikel 20 Abs. 3 – mit einer größeren Verbindlichkeit auszustatten, um den nationalstaatlichen Vorrang im Bereich ethischer Wertentscheidungen rechtssicher zu verankern. Der anstehende Trilog bietet Gelegenheit, hier gemeinsam mit den EU-Mitgliedstaaten passende Formulierungen zu finden.

Brüssel/Berlin, den 11. September 2023

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[1] Die deutschen Bischöfe, Menschenwürde und Menschenrechte von Anfang an, Nr. 56, 26. September 1996, S. 5.; COMECE, Positionspapier zum „Report at the situation of sexual and reproductive health and rights in the EU, Juni 2021, S.2.

[2] So ist etwa in Deutschland die Übertragung und Spende von Embryonen ausweislich des Willens des nationalen Gesetzgebers im Embryonenschutzgesetz nach aktueller Rechtslage weder als Gewebe gem. § 1a Nr.4 TPG noch als Gewebezubereitung gem. § 4 Abs.30 S.2 AMG zu qualifizieren und damit vom Anwendungsbereich sowohl des Transplantations- wie auch des Arzneimittelgesetzes ausgeschlossen (vgl. BT-Drs. 16/3146, S.23).

[3] In Deutschland stellen sich etwa Kollisionsfragen unter Beachtung von Gendiagnostikgesetz, Embryonenschutzgesetz und PID-Verordnung weitreichende Fragen.

Stellungnahme
des Kommissariats der deutschen Bischöfe, Katholisches Büro in Berlin
und
der Kommission der Bischofskonferenzen in der Europäischen Union (COMECE)
zum

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Qualitäts- und Sicherheitsstandards für zur Verwendung beim Menschen bestimmte Substanzen menschlichen Ursprungs und zur Aufhebung der Richtlinien 2002/98/EG und 2004/23/EG