Engagementbereich:
Die beiden großen Kirchen gehören zum „kirchlichen und religiösen Bereich“, sind jedoch sowohl als öffentlich-rechtliche Institutionen wie auch über ihre zahlreichen privatrechtlich verfassten Einrichtungen und Werke, insbesondere ihre Wohlfahrtsverbände Caritas und Diakonie, mit hoher gesellschaftlicher Relevanz in Sektoren wie „Kultur und Musik“, „Sozialer Bereich“, „Schule und Kindergarten“ „Umwelt- und Naturschutz“, „Außerschulische Jugendarbeit“, „Bildungsarbeit für Erwachsene“ oder im „Gesundheitsbereich“ engagiert.
Thema 1: Kirche und Engagement
Zentrale Erkenntnis 1:
Christlicher Glaube manifestiert sich einerseits in der gelebten Glaubensgemeinschaft mit Gottesdiensten, Riten und Lehre, andererseits im gesellschaftlichen Wirken. Dieses lebt aus der Motivation, die Welt im Sinne Gottes zu gestalten und tätige Nächstenliebe zu üben. Die Verpflichtung auf „Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung“ bringt hier und in der weltweiten Ökumene eine Vielzahl von Engagementformen hervor. Gläubige setzen sich prioritär für die Belange Benachteiligter, sozialen Ausgleich, Solidarität, die Bewahrung der Schöpfung und Frieden sowie für ein an christlichen Grundwerten und ethischen Standards orientiertes Miteinander ein. Dies wird auch über Bildungsarbeit reflektiert und eingeübt. Glaube äußert sich im Einsatz für andere und die Gemeinschaft und hat die Aufgabe, sowohl für den Zusammenhalt in unserer Demokratie wie auch die Stärkung der Resilienz des Einzelnen positiv zu wirken.
Empfehlung 1:
Eine Bundes-Engagementstrategie muss Religion als wichtige Motivation für gesellschaftliches Engagement und ehrenamtliche Tätigkeiten erkennen und anerkennen. In den Kirchen und Religionsgemeinschaften findet der Staat relevante und kompetente Kooperationspartner bei der Ausgestaltung einer solchen Strategie.
Zentrale Erkenntnis 2:
Die christlichen Kirchen sind die größten nicht-staatlichen Organisationen in Deutschland; allein den beiden großen Volkskirchen gehören 2023 zusammen 41 Mio. Gläubige an. Nach dem Freiwilligensurvey 2019 waren 6,8 % der Bevölkerung aktiv im kirchlich-religiösen Bereich engagiert. In kirchlichen Einrichtungen und Werken sind rund 5 Mio. Kirchenmitglieder ehrenamtlich engagiert. Auch das Engagement in nicht-kirchlichen Organisationen der Zivilgesellschaft kann christlich motiviert sein. Eine ehrenamtliche Sozialisation im kirchlichen Raum ist empirisch1 eine wichtige Quelle späteren Engagements auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen: Mitglieder der katholischen und evangelischen Kirchen sind mit gut 45% überdurchschnittlich engagiert — auch außerhalb des kirchlichen Raumes, und zwar desto mehr, je höher ihre kirchliche Verbundenheit ist.
Empfehlung 2:
Für die Umsetzung einer Engagementstrategie sind die Kirchen wichtige Partner. Sie müssen regelmäßig angehört und einbezogen werden; das gilt auch für die Beteiligung in Aufsichtsgremien, z.B. dem Stiftungsrat der Deutschen Stiftung Engagement und Ehrenamt, und in beratenden Gremien wie Enquete-Kommissionen.
Zentrale Erkenntnis 3:
Die Bandbreite des Wirkens kirchlicher und kirchennaher Einrichtungen und Werke reicht von spezialisierten Organisationen, etwa der Jugend oder Seniorenarbeit, der Frauen- oder Männerarbeit, der Musik- und Kulturarbeit, über Werke mit hoher innerer Ausdifferenzierung etwa im diakonisch-caritativen Bereich, den Menschenrechten, der Entwicklungszusammenarbeit und Katastrophenhilfe bis zu den Kirchengemeinden mit ihrer sehr breiten inhaltlichen Arbeit in ihren jeweiligen Sozialräumen und darüber hinaus in den übergreifenden kirchlichen Strukturen.
Empfehlung 3:
Viele kirchliche und kirchennahe Organisationen haben durch Kirchensteuern, Kollekten und Spenden eine zuverlässige, aber nicht unerschöpfliche finanzielle Grundlage. Wie die Organisationen der Zivilgesellschaft sind Kirchen und Faith Based Organisations auf Rahmenbedingungen angewiesen, die sie in ihrem Einsatz bestärken und fördern — das schließt auch Förderung aus öffentlichen Mitteln ein.
Thema 2: Diversität und Subsidiarität
Zentrale Erkenntnis 1:
Unsere Gesellschaft wird durch interne wie externe Faktoren in vielfacher Weise diverser und pluraler. Das spiegelt sich in der Struktur der organisierten Zivilgesellschaft und der thematischen Bandbreite gesellschaftlichen Engagements wider. Auch Kirchen, freie, gemeinwohlorientierte Akteure und Verbände bilden in die gesellschaftliche Wirklichkeit ihrer Vielfalt ab. Die beiden großen Kirchen, ihre Verbände und Kirchengemeinden machen hier vielfältige, tägliche Erfahrungen sowohl auf der Bundesebene (z.B. synodale Prozesse) wie auch in den Strukturen vor Ort in den Gemeinden (vgl. Beteiligung von Ehrenamt bei Leitungsentscheidungen bzw. langjährige erfolgreiche Selbstorganisationsprozesse). Wachsende Pluralität erfordert eine Konzeption von Pluralismus, die in der Lage ist, Interessenkonflikte konstruktiv und gemeinwohlorientiert zu bearbeiten, also Partikularität und Solidarität (d.h. die zentripetalen und die zentrifugalen Kräfte) in einen angemessenen Ausgleich zu bringen. Zielführend ist, trotz unterschiedlicher Meinungen und Interessenkonflikten sich immer wieder das gemeinsame Ziel (Gemeinwohlorientierung) und Menschenbild als verbindende Wertebasis vor Augen zu führen und gemeinsam nach guten Lösungen zu suchen. Mit einem so verstandenen konstruktiven Diversitätsverständnis kann es gelingen, dass einerseits jeweils passgenaue Lösungen für verschiedene individuelle Anliegen und unterschiedlichen Akteure gefunden werden und andererseits ein übergreifendes Gemeinschaftsgefühl erhalten bleibt oder neu entstehen kann.
Empfehlung 1:
Gelebte Diversität und Pluralität bedeutet, dass Menschen Angebote z.B. von Trägern frei wählen können, für deren spezifisches Profil sie sich aufgrund eigener Präferenzen bewusst entscheiden. Dieses pluralitätsfreundliche System gilt es zu erhalten und zu stärken über das im Sozialrecht bereits verankerte Subsidiaritätsprinzip und Wunsch- und Wahlrecht hinaus auch in anderen Bereichen der Daseinsvorsorge, der Bildung, bei der Entwicklung sozialer Innovationen und des gesellschaftlichen Engagements.
Zentrale Erkenntnis 2:
Kirchen und Religionsgemeinschaften stehen für Partikularität, indem sie einen konkreten historisch gewachsenen Glauben verkörpern, vertreten, bewahren und weiterentwickeln. Sie stehen zugleich für Solidarität, weil sie sich nicht nur der eigenen Gruppe, sondern Menschheit und Schöpfung insgesamt „um Gottes Willen“ verpflichtet fühlen und den Dienst an ihnen als Lebens- und Wesensäußerung ihres geistlichen Auftrags begreifen. Unter dem Verbindenden des gemeinsamen Bekenntnisses bringen haupt- und ehrenamtlich engagierte Christen Menschen unterschiedlichen Alters, Geschlechts, nationaler und ethnischer Herkunft, sexueller Orientierung und politischer Überzeugungen zusammen. Sie laden auch Menschen anderer Überzeugungen ein, sich an diesem freiwilligen Engagement zu beteiligen.
Empfehlung 2:
Entscheidend für die Leistungsfähigkeit freigemeinnütziger Träger ist in vielen Fällen eine (Re- oder Ko-)Finanzierung aus öffentlichen Haushalten. Um Pluralität in der Breite abzubilden und auch institutionell in ihrer Weiterentwicklung durch Bereitstellung notwendiger Rahmenbedingungen weiterhin gut unterstützten zu können, ist entscheidend, dass Träger und Verbände allein aufgrund der von ihnen erbrachten Gemeinwohlleistungen gefördert werden, nicht aufgrund politisch- weltanschaulicher Präferenzen. Davon unbenommen sind Schwerpunktsetzungen, etwa aus Förderrichtlinien. Unbenommen ist auch die Förderung anhand strikt empirischer Maßstäbe, etwa der Mitgliederzahl oder der Reichweite ihrer Angebote.
Thema 3: Haupt- und Ehrenamt, Trägerstrukturen
Zentrale Erkenntnis 1:
Kirchen bieten als solche und über die ihnen zugeordneten Gemeinden, Einrichtungen, Werke und deren Verbände einen Rahmen für die Entwicklung von eigenständigen Ideen und gesellschaftlichem Engagement. In manchen ländlichen Räumen sind sie die wesentlichen Akteure, die nachhaltiges Engagement in relevantem Umfang überhaupt noch ermöglichen. Nur das Vorhandensein stabiler Strukturen ermöglicht gerade in Krisenfällen eine schnelle Aktivierung der Ressourcen, z.B. bei Katastrophen oder einem kurzfristig erhöhten Zuzug Schutzsuchender.
Empfehlung 1:
Weil Ehrenamt/Engagement verlässliche Unterstützung braucht, darf sich finanzielle Förderung nicht nur auf Projekte fokussieren. Struktur- und Infrastrukturförderung ist unerlässlich. Projektförderung muss über- und mehrjährig möglich sein. Öffentlichen Gebern muss bewusst sein, dass manche Strukturen ihre Wirkung bei Bedarf auf Abruf entfalten, aber nicht eingespart werden dürfen, wenn kein akuter Bedarf besteht.
Zentrale Erkenntnis 2:
Ehrenamt und die Übernahme von Leitungsfunktionen schließen sich nicht aus. Im kirchlichen Bereich sind viele Leitungs- und Aufsichtsfunktionen ehrenamtlich, während viele hauptamtliche Funktionen dienenden Charakter haben. Da Ehrenamtliche sich mit begrenzten zeitlichen und finanziellen Ressourcen einbringen, bedarf es kapazitätsbildender Angebote, die Ehrenamtlichen durch Aus-, Fort- und Weiterbildung sowie Begleitung und Unterstützung die Ausübung von Leitungs- und Aufsichtsfunktionen erst ermöglichen. Das gleiche gilt auch für verantwortungsvolle Tätigkeiten etwa in der Beratung, Mediation, Konfliktbearbeitung, Seelsorge usw., die keine Leitungsfunktionen sind.
Empfehlung 2:
Engagierte sind vor Überforderung zu schützen, auch indem ihnen fachliche Bildungsmaßnahmen, Begleitung, Coaching oder Supervision nach Bedarf angeboten werden. Entlastend und engagementfördernd kann z.B. die Finanzierung von öffentlich finanzierten und dezentral eingesetzten hauptamtlichen Freiwilligenkoordinationsstellen bzw. Ehrenamtsbeautragten sein. Je komplexer Ausübung ehrenamtlichen Engagements wird (bürokratische Anforderungen, Notwendigkeit von Drittmittelakquise, fachliche Begleitung und Reflexion), desto wichtiger wird die Bereitstellung von Entlastungs- bzw. Unterstützungsstrukturen wie z.B. die Finanzierung von digitalen Koordinierungs- und Organisationstools und die Unterstützung digitaler Kompetenzen.
Thema 4: Engagementförderung und Gewinnung Ehrenamtlicher
Zentrale Erkenntnis 1:
Ehrenamt und Engagement sind nicht selbstverständlich und bedürfen häufig der gezielten Ansprache und Unterstützung; es gibt zudem Gruppen, die bislang unterrepräsentiert sind. Das schadet gesellschaftlicher Teilhabe und langfristig auch der Demokratie.
Empfehlung 1:
Damit sich Menschen bereitfinden, sich für das Gemeinwohl zu engagieren, bedarf es neben fördernden Rahmenbedingungen auch Akquise. Bislang im Ehrenamt unterrepräsentierte Gruppen (z.B. Menschen aus sozial benachteiligten Gruppen und mit geringen Einkommen, Menschen mit Migrationshintergrund oder mit körperlichen Einschränkungen) müssen gezielt angesprochen werden. Barrieren, die ihrem Engagement im Wege stehen, müssen beseitigt werden. Dies gilt auch für Erwerbstätige, die Berufstätigkeit und Ehrenamt im Alltag in Einklang bringen müssen. Hierbei kann auf die Erfahrungen der Kirchen zurückgegriffen werden. Geprüft werden sollten auch öffentlich finanzierte Freistellungsmöglichkeiten von beruflichen Aufgaben. Engagementpolitik muss zudem Antworten geben zur Weiterentwicklung von Engagementformen, die zu den Lebensphasen, Bedürfnissen, Motiven und Fähigkeiten der Freiwilligen passen. Besondere Engagement- und Aktivierungsformen (wie etwa Patenschafts-Modelle oder Peer-to-Peer-BeratungsmodeIle) bieten einen attraktiven Rahmen für vielfältige Engagementmöglichkeiten.
Zentrale Erkenntnis 2:
Freiwilligendienste sind wertvolle Reservoirs für die Begeisterung zu gesellschaftlichem und gemeinwohlorientiertem persönlichem Einsatz. Sie führen Menschen in allen Lebensaltern, besonders aber junge Menschen, an das Thema heran und legen Grundlagen für nachhaltiges Engagement. Freiwilligendienste erweitern den Horizont und geben gerade jungen Menschen wichtige Orientierung im Leben; für die von der Covid-Pandemie geprägten Jahrgänge besteht hier großer Bedarf.
Empfehlung 2:
Freiwilligendienste müssen finanziell und strukturell auskömmlich ausgestattet werden. Die Inflation oder Kürzungen im Bundeshaushalt dürfen nicht zu einem Rückgang vorhandener Plätze führen. Vielmehr bedarf es weiterer Plätze im In-und Ausland (vgl. Koalitionsvertrag) sowie einer finanziellen Absicherung der Freiwilligen, die es auch Menschen aus wirtschaftlich schwächeren Hintergründen erlaubt, einen Freiwilligendienst zu leisten. Für die wachsende Zahl fitter Seniorinnen und Senioren können Freiwilligendienste einen Übergang vom Erwerbsleben zu einem freiwilligen Engagement im Ruhestand sein.
Zusammenfassung zentraler Erkenntnisse / Empfehlungen
Jedem freiwilligen Engagement geht eine individuelle Motivation voraus. Der christliche Glaube ist für viele Menschen eine wesentliche Inspirations- und Motivationsquelle, sich für andere und die Gemeinschaft einzusetzen. Die Kirchen, ihre Einrichtungen und Werke und deren Verbände sind in einer Vielzahl gesellschaftlicher Bereiche organisiert und dienen dem Gemeinwohl. Sie bieten Millionen Ehrenamtlichen erst die Möglichkeiten für ihr Engagement. Aufgrund ihres Wirkens, ihrer Strukturen und ihrer Expertise sind sie für den Staat unverzichtbare Partner bei der Erhaltung und dem Ausbau solchen Engagements. Wie bei anderen gemeinwohlorientierten, nichtstaatlichen Organisationen auch, braucht ihre Arbeit eine solide finanzielle Grundlage, die neben eigenen auch aus öffentlichen Mitteln kommen muss. Durch verlässliche und nachhaltig finanzierte Strukturen werden für Engagierte Anreize gesetzt, gemeinwohlorientierte Ehrenämter auszuüben, sich für diese zu qualifizieren und die notwendige spezifische Begleitung und Beratung zu erhalten. Gleiches gilt für das soziale Engagement für bestimmte Themen und Projekte. Damit zivilgesellschaftliches Engagement die ganze Breite der Gesellschaft abbildet, müssen bislang unterrepräsentierte Gruppen in den Blick genommen, Barrieren erkannt und abgebaut, Anreize geschaffen werden. Die Kirchen können auch hierbei aufgrund ihrer einschlägigen Erfahrungen wichtige Partner des Staats sein. Neben Jugendlichen und Menschen im Ruhestand sollte dabei auch eine Strategie für die Einbindung von Menschen geschaffen werden, damit Erwerbstätigkeit und freiwilliges Engagement im Alltag gut in Einklang bringen können.
Berlin, den 12.06.2023
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1 „Engagement mit Potenzial – Sonderauswertung des vierten Freiwilligensurveys für die evangelische Kirche“, Sozialwissenschaftliches Institut der EKD, Hannover 2017.