Die ökumenische Stellungnahme der katholischen und evangelischen Kirche bezieht sich auf den Entwurf zur Einführung einer Widerspruchsregelung im Transplantationsgesetz. Beide Kirchen unterstützen das Ziel, die Zahl der Organspenden zu erhöhen, betonen jedoch, dass Organspende aus christlicher Sicht als freiwilliger Akt der Nächstenliebe verstanden wird und daher eine bewusste, informierte Entscheidung erfordert. Diese positive Haltung zur Organspende auf freiwilliger Basis teilen auch der Zentralrat der Juden und der Zentralrat der Muslime. Die beiden christlichen Kirchen lehnen die Widerspruchsregelung ab, da sie den Charakter der Organspende als freiwillige und persönliche Entscheidung untergräbt. Sie argumentieren, dass das Schweigen eines Individuums nicht als Zustimmung interpretiert werden sollte, da dies ethische und rechtliche Bedenken aufwirft. Stattdessen schlagen sie vor, die bestehende Einwilligungsregelung weiterzuentwickeln und Zeit zu geben, um die Wirkungen kürzlich eingeführter Maßnahmen zu evaluieren. Besonderes Augenmerk legen sie auf den Schutz vulnerabler Gruppen, wie Menschen mit eingeschränkter Einsichtsfähigkeit oder Schutzsuchende. Die Rolle der Angehörigen sollte nicht geschwächt werden. Außerdem wird betont, dass ein gutes Zusammenwirken von kulturelle, rechtliche und soziale Faktoren entscheidend dafür ist, um die Organspendebereitschaft in der Bevölkerung und die tatsächlichen Spendenraten in der Transplantationsmedizin nachhaltig zu erhöhen.
Die Kirchen plädieren für eine offene und transparente Auseinandersetzung mit dem Thema Organspende auf freiwilliger Basis, unterstützt durch umfassende Aufklärung, niedrigschwellige Dokumentationsmöglichkeiten und den Ausbau des Vertrauens in das Gesundheitssystem.
Langfassung
I. Allgemeine Anmerkungen
Die evangelische und die katholische Kirche in Deutschland unterstützen das Ziel des Gesetzentwurfs, die Zahl der Organspenden in Deutschland durch geeignete und zumutbare Maßnahmen zu erhöhen. Die Organspende ist für Christen eine Form praktizierter Nächstenliebe, auch über den Tod hinaus. Der Organspende gebührt deshalb aus Sicht des Christentums höchste moralische Anerkennung. Diese allgemeine positive Haltung zur Organspende teilen die beiden Kirchen auch mit christlichen Verbänden und Zusammenschlüssen von engagierten Christen und Persönlichkeiten aus Kirche und Gesellschaft sowie mit den großen Verbänden der beiden anderen abrahamitischen Religionsgemeinschaften, wie dem Zentralrat der Juden[1] und z. B. dem Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD).[2] Kirchen und Religionsgemeinschaften spielen schon jetzt eine wichtige Rolle bei der Förderung der Organspendenbereitschaft in Deutschland. Durch gezielte Aufklärungsarbeit, direkte Kommunikation und die Betonung ethischer Werte tragen sie dazu bei, das Bewusstsein für die Bedeutung der Organspende zu schärfen. Sie sind bereit, diese Rolle künftig noch intensiver wahrzunehmen.
Die jetzt geplante Einführung einer Widerspruchsregelung sehen EKD und DBK aus grundsätzlichen Überlegungen hingegen kritisch. Bei der Regelung der Organspende sollte – wie der Begriff schon ausdrückt – der Charakter einer freiwilligen Organspende im Sinne einer bewusst und höchstpersönlich getroffenen eigenen Entscheidung erhalten bleiben. Diesem Charakter widerspricht aber der juristische Kern einer gesetzlichen Widerspruchsregelung, die Zustimmungsfiktion. Nach dieser Wertung wird eine Einwilligung in die postmortale Entnahme von Organen und Geweben des eigenen Körpers angenommen, wenn kein digital oder schriftlich dokumentierter oder den Angehörigen bekannter Widerspruch vorliegt. Das erscheint sowohl aus ethischen, theologischen als auch aus rechtlichen Gründen problematisch.
Anders als in der Gesetzesbegründung angenommen, halten die beiden christlichen Kirchen es für möglich, dass auch ohne eine Widerspruchsregelung das Ziel des Gesetzentwurfs, die Zahl der Organtransplantationen zu erhöhen, erreicht werden kann – etwa durch eine Weiterentwicklung der geltenden Entscheidungsregelung. In diesem Zusammenhang erachten wir es als sinnvoll, den mit dem 2019 verabschiedeten Gesetz für bessere Zusammenarbeit und bessere Strukturen bei der Organspende eingeführten Maßnahmen mehr Zeit zu geben, Wirkung zu entfalten. Gleiches gilt für die Wirkungen des im Jahr 2020 beschlossenen Gesetzes zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende, mit dem u. a. ein bundesweites Organspendenregister eingeführt worden ist.
Die beiden christlichen Kirchen haben Zweifel, dass die Widerspruchsregelung zur gewünschten Steigerung der ausdrücklich dokumentierten Spendenbereitschaft geeignet ist, d. h. für sich genommen zu einer signifikanten Erhöhung der Organtransplantationen führt.
Neben diesen grundsätzlichen Bedenken halten wir es für notwendig, sofern eine Widerspruchsregelung befürwortet wird, den Blick stärker auf den Schutz vulnerabler Personengruppen zu richten, wie z. B. Fälle im Graubereich fehlender oder zweifelhafter Einsichtsfähigkeit (Depressionen, Fälle von früher Demenz) oder Personen, die keinen gesicherten Aufenthalt in Deutschland haben wie etwa Schutzsuchende. Auch sollten die Regelungen in Bezug auf die den Angehörigen zugewiesene Rolle im Verfahren noch einmal kritisch überprüft werden.
II. Grundsätzliche Erwägungen
- Theologische Erwägungen
Die postmortale Organspende ist eine großherzige und freiwillige Gabe. Denn eine Organspende ist geeignet, das Leben anderer zu retten bzw. die Lebensqualität derjenigen Menschen, die auf ein Spenderorgan warten, deutlich zu erhöhen.
Es ist allerdings zu berücksichtigen, dass es sich bei der Organspende nicht um eine allgemein erwartete Selbstverständlichkeit handelt. Eine Pflicht zur Organspende lässt sich theologisch nicht herleiten. Denn die Einwilligung in ein postmortales Transplantationsverfahren rettet nicht nur Leben, sondern sie hat auch Auswirkungen auf den eigenen natürlichen Sterbeprozess. Elementar ist aus Sicht der Kirchen deshalb, dass es sich auch bei der postmortalen Organ- und Gewebespende immer um einen notwendigerweise bewusste und freiwillig gefassten höchstpersönlichen Akt der Nächstenliebe handelt und die Erklärung in Kenntnis auch der intensivmedizinischen Besonderheiten abgegeben worden ist, die es bei der Organspende zu beachten gilt (z. B. Umstellung der Therapie; Aufrechterhaltung von Herztätigkeit und Lungenfunktion nach Feststellung des Hirntods zur Sicherstellung des Erhalts der Organe). Die beste Lösung und der Idealfall für alle Beteiligten wäre freilich, wenn die Beteiligten untereinander möglichst frühzeitig und offen über diese Fragen sprechen. Letztlich geht es bei allen Beteiligten auch und vor allem um ganz persönliche Entscheidungen und individuelle Glaubensfragen in Bezug auf von Leben, Sterben und Tod. Diese gilt es zu respektieren, auch wenn man die Auffassung des anderen nicht teilt.
Die oben angeführte grundsätzlich positive Einstellung zur freiwilligen Organspende deckt sich auch mit der im Gesetzentwurf zitierten allgemeinen hohen gesamtgesellschaftlichen Zustimmung zur Organspende. Andererseits gilt aber zu berücksichtigen: „Aus der grundsätzlich positiven Haltung der Bevölkerung zur Organspende lässt sich keine pauschale Spendenbereitschaft aller Menschen und erst recht keine generelle Zustimmung zur Organentnahme im Einzelfall schließen, denn eine solche erfordert eine umfassende Auseinandersetzung mit den Bedingungen und Konsequenzen einer Organspende.“3
Gerade der Charakter der Organspende als hoch geschätzte freiwillige Gabe zur Rettung eines – in der Regel unbekannten, fremden – Menschen in großer Not führt zu dem Anliegen, diese Freiwilligkeit stark zu machen und sie nicht durch eine gesetzlich verfügte Zustimmungsvermutung in einen Bereich der Zweifelhaftigkeit zu ziehen. Eine Regelung, die darauf abzielt, Menschen zu einer freien Zustimmung im Sinne eines informed consent zu einer möglichen Organspende zu bewegen, passt in dieser Sicht der Dinge wesentlich besser zum Leitbild einer auf freie und selbstbestimmte Entscheidung angelegten menschlichen Person, deren Status als Subjekt ihrer eigenen Handlungen von der staatlichen Gemeinschaft anerkannt und geachtet wird. Langfristig und bei entsprechender Ausgestaltung trauen wir einer solchen Regelung in höherem Maß zu, die Akzeptanz der Organspende zu erhöhen.
Wir sprechen uns daher dafür aus, an der positiven Einstellung der Bevölkerung zur Organspende anzuknüpfen und sie im Sinne eines sensiblen Kulturwandels zur Steigerung der grundsätzlichen Spendenbereitschaft in der Bevölkerung und der tatsächlichen Spendenraten in Deutschland weiter durch geeignete Maßnahmen im Rahmen der Einwilligungsregelung als mildere Mittel auszubauen.
- Seelsorgliche Erwägungen
Die transplantationsmedizinischen Erfordernisse bedeuten auch einen erheblichen Eingriff in den Sterbeprozess. Die Grundfunktionen des Herz-Kreislauf-Systems müssen zunächst bis zur zweifelsfreien Feststellung des Hirntods und dann bis zur Organentnahme gerätemedizinisch aufrechterhalten werden. Diese Erfahrungen können für Angehörige eine zusätzliche Belastung bedeuten. In dieser Situation ist es von besonderer Bedeutung, dass die Angehörigen darauf vertrauen können, dass das, was hier geschieht, auch in Übereinstimmung mit dem Willen des verstorbenen geliebten Menschen geschieht. Die Vorstellung, nicht nur des vertrauten Menschen, sondern in der Trauer auch seines Körpers beraubt zu werden, kann sonst ein zusätzliches Trauma hervorrufen. Eine in der Situation des Verlustes sehr wichtige psychosoziale und seelsorgerliche Betreuung wäre dann kaum noch möglich oder doch zumindest erheblich erschwert.
III. Kommentierung ausgewählter Artikel des Gesetzesentwurfs
- Zu Art. 1 Nr. 4b – § 3 Abs. 1 (S. 1 Nr. 1a) TPG-E
Nach § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 TPG-E sollen einer volljährigen Person nach Feststellung des Hirntods künftig legal Organe und Gewebe entnommen werden können, wenn diese zu Lebzeiten der Entnahme nicht ausdrücklich widersprochen (lit.a) oder eingewilligt (lit.b) hat. Liegt weder ein entsprechender Eintrag im digitalen Register zur Organ- und Gewebespende noch im Organspendeausweis, einer Patientenverfügung oder einem sonstigen Schriftstück vor, soll es künftig für die Zulässigkeit der Organ- und Gewebeentnahme nur noch darauf ankommen, ob dem nächsten Angehörigen ein Widerspruch bekannt ist oder nicht (§ 4 Abs. 1 Ziff. 2 und 3 TPG-E). Ansonsten greift die sog. Zustimmungsfiktion, d.h. das Vorliegen einer allgemein bestehenden positiven Haltung und bestehenden Einwilligung in die Organspende wird unterstellt, auch wenn diese nicht ausdrücklich ausgesprochen und dokumentiert worden ist. Das Schweigen des Patienten wird damit entgegen der sonstigen Rechtslage gesetzlich als Zustimmung gewertet. Auf die bisher nach geltender Rechtslage notwendige Feststellung des hypothetischen Willens von Patientin oder Patient für oder gegen die Organspende soll zur Entlastung von Angehörigen wie Ärztinnen und Ärzten künftig im Regelfall gem. § 4 Abs. 3 i.V.m. Ziff. 2 TPG-E verzichtet werden. Ausnahmen von diesem Grundsatz werden zum Schutz von vulnerablen Personengruppen in § 4 Abs. 4-6 TPG-E geregelt. In diesen Fällen gilt eine Einwilligungs- und Vertretungsregelung.
Gegen die Einführung einer Widerspruchsregelung werden rechtliche Bedenken vorgetragen. Zwei unterschiedliche Grundrechtseingriffe werden diskutiert. In der ersten Konstellation geht es um die Frage, ob bei der Entnahme ohne den ausdrücklich erklärten oder hypothetisch ermittelten tatsächlichen Willen beim verstorbenen Patienten und Organspender ein ungerechtfertigter Eingriff in das postmortale Persönlichkeitsrecht und die körperliche Unversehrtheit anzunehmen ist. In der zweiten Konstellation geht es um die einer Organtransplantation zeitlich vorgelagerte Frage, ob durch die Widerspruchsregelung und die mit ihr verbundene Zustimmungsfiktion das Grundrecht auf negative Selbstbestimmung verletzt ist. Denn auch Personen, die sich nicht sicher sind, mit einer Organspende nicht einverstanden sind oder sich nicht mit dem Thema beschäftigen möchten (aus welchem Grund auch immer), müssen sich aufgrund der Zustimmungsfiktion faktisch mit der Frage zu beschäftigen, eine Entscheidung zu treffen und ggf. den Widerspruch dokumentieren – am besten rechtssicher im digitalen Organspendenregister.
Problematisiert wird ferner, dass die Widerspruchsregelung eine Abkehr von dem im Medizinrecht anerkannten Prinzip der informierten Einwilligung darstelle: „Während im medizinischen Kontext der informed consent als Ausdruck der Patientenautonomie ein zentrales rechtliches und moralisches Prinzip ist, würde im Falle der Widerspruchsregelung die rechtliche Logik im deutschen Transplantationsgesetz also umgekehrt.“[3]
Im Rahmen einer Widerspruchsregelung wird die Freiwilligkeit und damit die Zulässigkeit einer Organspende unterstellt, wenn eine Person ihr nicht widersprochen hat. Völlig unberücksichtigt bleiben dabei die Motive, die zu dem nicht erfolgten Widerspruch geführt haben. Da diese höchst unterschiedlicher Natur sein können, ist es ethisch bedenklich, aus einem nicht erfolgten Widerspruch eine freiwillige Zustimmung abzuleiten. Diese Bedenken aber bergen die Gefahr, die Organspende an sich zu delegitimieren. Angesichts dessen ist zu bezweifeln, ob die mit der Widerspruchsregelung verbundenen Eingriffe in Grundrechte gerechtfertigt werden können.
In Frage gestellt wird schon, ob der Wechsel von der geltenden Einwilligungs- zur Widerspruchsregelung überhaupt geeignet und erforderlich ist, um eine Steigerung der Anzahl von Organtransplantationen zu erreichen.
Die Geeignetheit wird unter Hinweis auf internationale Vergleichsstudien angezweifelt. Im Gesetzentwurf wird hingegen dargelegt, dass die Anzahl von Organspenderinnen und Organspendern nach wie vor bei Weitem nicht ausreicht sei, um den Bedarf an Spenderorganen zu decken[4] und das, obwohl nach einer Repräsentativbefragung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung rund 84 % der Menschen in Deutschland einer Organ- und Gewebespende positiv gegenüberstehen.[5] Etwa 8.496 Menschen stehen in Deutschland auf der Warteliste für ein Spenderorgan. Die meisten von ihnen warten auf eine Spenderniere. 2023 gab es bundesweit 965 Organspenderinnen und Organspender.[6] Das entspricht 11,58 Organspenderinnen und -spender je eine Million Einwohner.
Die Entwurfsverfasser möchten durch Einführung der Widerspruchsregelung die Anzahl der Organspenden erhöhen. Sie verweisen auf höhere Spenderaten im europäischen Ausland, wo sich zunehmend die Widerspruchsregelung durchsetzt.[7] Es stimmt zwar, dass sich in Ländern, in denen die Widerspruchsregelung eingeführt wurde, wie Spanien (49,38), Frankreich (23,8) oder Österreich (20,89) jeweils Widerspruchsregelungen mit im Vergleich zu Deutschland (11,58) durchaus höheren Spenderaten pro eine Million Einwohner haben.[8] So gibt es aber auch in Ländern mit einer Einwilligungsregelung, wie in den USA (48,04), ähnlich vergleichbar hohe Spenderaten wie in Spanien.[9] Auch gibt es Länder wie z. B. Bulgarien (3,28), die eine Widerspruchsregelung haben, wo die Zahlen aber weit unter 10 % liegen. Insofern ist in Frage zu stellen, ob der vorgelegte Entwurf zur Einführung einer Widerspruchsregelung wirklich geeignet ist, das gewünschte Ziel zu erreichen, die Steigerung der Spenderate zu erhöhen. Denn aktuelle internationale Studien zeigen, dass es für die konkret erzielten Ergebnisse letztlich auf ein ganzes Maßnahmenbündel und nicht so sehr auf die isolierte Entscheidung in der Frage Einwilligungs- oder Widerspruchsregelung ankommt.[10] In der Bevölkerung sollten deshalb keine falschen Erwartungen geweckt werden: Der bloße Wechsel von einem Opt-in-System (Einwilligungsregelung) zu einem Opt-out-System (Widerspruchsregelung) führt noch nicht zu einer Erhöhung der Spendenquoten. Denn letztlich kommt es bei der Entscheidung für oder gegen die Organspende auch bei Geltung eines Widerspruchssystems auf die freie Entscheidung des einzelnen an.
Die Situation ist sowohl in kultureller als auch in rechtlicher Hinsicht komplex und multifaktoriell, sodass ein einfacher Vergleich der Spenderraten zwischen den Ländern allein nicht aussagekräftigist. Zu beachten ist zudem, dass es nicht „die eine“ gesetzliche Widerspruchsregelung gibt, sondern sich die Regelungen im Detail durchaus unterscheiden und in unterschiedliche Rechtsordnungen und Gesundheitssysteme eingebettet sind.[11] Entscheidend für den Erfolg scheint letztlich ein gutes Zusammenspiel von unterschiedlichen Faktoren in dem jeweiligen Land und weniger eine Widerspruchsregelung. Insbesondere sind hier zu nennen: das Vorhandensein von ausreichender und guter Information, Möglichkeiten zur niedrigschwelligen und rechtssicheren (digitalen) Dokumentation des eigenen Willens, transparente medizinische Aufklärung im direkten Kontakt mit Patientinnen/Patienten, Vertrauen in das Gesundheitssystem und den Staat, eine gute Spendenkultur und Verständnis von Solidarität innerhalb der Gesellschaft. Für den jeweils eigenen Umgang mit dem Thema Organspende und das Ergebnis der jeweils höchstpersönlich zu treffenden Entscheidung für oder gegen die eigene Organspende kommt es neben der Höhe des Bedarfs an Organspenden in der jeweiligen Gesellschaft wesentlich auf individuelle Haltungen sowie kulturelle und religiöse Prägungen des jeweiligen Landes sowie des privaten Umfelds an.
Es wird zudem in Frage gestellt, ob auch angesichts des 2019 verabschiedeten Gesetzes für eine bessere Zusammenarbeit und bessere Strukturen bei der Organspende der strukturelle Übergang und Paradigmenwechsel hin zu einer Widerspruchsregelung erforderlich ist, um die Anzahl an Organtransplantationen zu erhöhen. Stark bezweifelt werden kann in diesem Zusammenhang insbesondere die Wertung der Entwurfsverfasser, dass die erst im Jahr 2019 eingeführten strukturellen und organisatorischen Verbesserungen im Transplantationsverfahren sich als praktisch unzureichend oder „eklatant gescheitert“ erwiesen haben sollen.[12] Ein Evaluationsbericht über die Wirkung der erst vor knapp fünf Jahren vom Gesetzgeber beschlossenen Maßnahmen liegtnach unserer Kenntnisjedenfalls noch nicht vor. Zu beachten ist ferner in zeitlicher Hinsicht, dass die Maßnahmen in den Krankenhäusern (z.B. Benennung von Transplantationsbeauftragten) noch umgesetzt werden mussten. Richtig ist, dass es in den einzelnen Krankenhäusern und Bundesländern durchaus bei den Spendenraten Unterschiede gibt.[13] Das digitale Organspendenregister ist erst im April 2024 – zeitlich verzögert – eingeführt worden. Ein weiterer Grund für die bislang noch geringe Nutzung des digitalen Registers mag sein, dass man für die Benutzung einen Personalausweis mit elektronischer ID haben muss. Dies sind aber keine Argumente dafür, die Maßnahmen zur Verbesserung der Einwilligungsregelung bereits als unzureichend zu bewerten. Im Gegenteil, aus unserer Sicht sind sie zusätzliche Argumente für den notwendigen weiteren Kulturwandel auch in den Krankenhäusern. Letztlich kommt es entscheidend auf den Einsatz und die Sensibilität der einzelnen Transplantationsbeauftragen in Zusammenarbeit mit dem Engagement der behandelnden Ärztinnen und Ärzten sowie einer vertrauensvollen Kommunikation mit den (noch lebenden) Patienten (auf der potentiellen Spenderseite) an. Wichtig ist zudem eine gute interdisziplinäre und kooperative medizinische Zusammenarbeit zwischen den behandelnden Ärzten auf beiden Seiten (Spender- und Empfängerseite) sowie mit den Transplantationsmedizinern. Letztlich spielt die direkte Kommunikation im Arzt-Patienten-Verhältnis sowie der sensible Umgang mit den An- und Zugehörigen eine große Rolle.
Bezweifelt werden kann zudem, ob im Rahmen der geltenden Einwilligungsregelung von Gesetzgeber und Gesellschaft bereits alle möglichen milderen Mittel zur Steigerung der Spendenraten ausgereizt worden sind. Anders als teilweise in der öffentlichen Diskussion behauptet, besteht aktuell noch nicht die Möglichkeit, eine Erklärung für oder gegen die Organspende auf der elektronischen Gesundheitskarte vermerken zu lassen. Die elektronische Gesundheitskarte befindet sich aktuell noch in der allgemeinen Testphase; die Möglichkeit, Informationen über die Haltung zur Organspende zu dokumentieren, ist bislang zwar angedacht, unseres Wissens aber von den Krankenkassen noch nicht technisch umgesetzt. Neben der allgemeinen und direkten Information der Bürger durch die BZgA scheinen zudem auch weitere Möglichkeiten der direkten Kommunikation und Sensibilisierung für das Thema Organspende erfolgversprechend: Hier sind viele Formen möglich und es ist nicht nur der Gesetzgeber, sondern auch die Gesellschaft gefragt.
Im Ergebnis sprechen auch rechtlich gute Argumente dafür, nicht zu einer Widerspruchsregelung überzugehen, sondern die Einwilligungsregelung beizubehalten.
- Zu Art. 1 Nr. 5b – § 4 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 TPG-E
Bei der Ausgestaltung des Verfahrens kommt auch der Rolle der Angehörigen eine besondere Bedeutung zu. Nach der neuen Regelung sollen die nächsten Angehörigen nur noch danach befragt werden, ob ihnen ein schriftlicher Widerspruch oder ein der Organspende entgegenstehender Wille der möglichen Organspenderin bzw. des möglichen Organspenders bekannt ist. Es kommt aber zur Organentnahme, wenn kein Widerspruch vorliegt.
Bei der rechtstechnischen Umsetzung wurde damit die strikteste Variante einer Widerspruchsregelung gewählt, wie sie es z. B. in Spanien, Frankreich und Österreich gibt, und mit einem stark auf das digitale Organspendenregister ausgerichteten Dokumentationsansatz kombiniert. Den Angehörigen soll nur noch eine Übermittlungsfunktion im Falle eines ihnen bekannten Widerspruchs zukommen (vgl. § 4 Abs. 1 Ziff. 3 i.V.m. Ziff. 3 TPG-E bzw. § 4 Abs. 1 Ziff. 3 TPG-E). Zu beachten ist dabei, dass – selbst bei einer grundsätzlichen Entscheidung für eine Widerspruchsregelung – es durchaus auch noch mildere Möglichkeiten des Gesetzgebers gibt, die den Interessen der Angehörigen ein größeres Gewicht beimessen würde. Eine solche weichere Variante würde auch eine entlastende Wirkung auf die oben unter Ziff. II 2 beschriebene Situation haben. Solche sog. erweiterten Widerspruchsregelungen, im Rahmen derer den Angehörigen ausdrücklich die Möglichkeit eingeräumt wird, die Organentnahme bei der verstorbenen Person zu verhindern und ihr zu widersprechen, gibt es z. B. in Finnland (28,2), Schweden (25,2), Estland (23,07), Norwegen (22,2) und in Kroatien (29,0), ohne dass dies nennenswerte Auswirkungen auf die, im Vergleich etwa zu Frankreich (27,63) und Österreich (20,89), erzielten Spenderaten hat. Die Kirchen sprechen sich dagegen aus, die Rolle der Angehörigen zu schwächen.
- Zu Art. 1 Nr. 5 – § 4 TPG-E
§ 4 TPG-E sieht in seinem Absatz 4 für Minderjährige, seinem Absatz 5 für Einwilligungsunfähige und seinem Absatz 6 für Menschen, die nach Deutschland eingereist sind, besondere Verfahrensregelungen vor, die die jeweilige Situation der genannten Personen als Organspender in den Blick nimmt. Es sind aber weitere Personengruppen denkbar, für die besondere Verfahrensregeln und Ausnahmen von der Zustimmungsfiktion sinnvoll wären. Vor allem für solche Fallkonstellationen, in denen typischerweisenicht davon ausgegangen werden kann, dass die betreffenden Personen die Tragweite einer nicht ausdrücklich erteilten, eigenen Entscheidung für oder gegen die Organ- und Gewebespende in ihrem gesamten Bedeutungsgehalt wirklich verstanden haben, gilt es genauer hinzuschauen. Das ist etwa der Fall, wenn die Informationen der BZgA nach § 2 Abs. 1a TPG-E die betreffende Person (unverschuldet) nicht erreicht hat, sie die Informationen selbst nicht verstehen kann (Sprachkenntnisse, Analphabeten), sie keine Zugangsmöglichkeiten insbesondere zum digitalen Organspendenregister hat oder mit dem Gesundheitssystem in Deutschland noch nicht vertraut sind. Kritisch sind diese Fälle insbesondere dann, wenn die in § 4 Abs. 4 bis Abs. 6 TPG-E zum Schutz dieser Fälle vorgesehene Ausnahmeregelung zur Zustimmungsfiktion nicht greift, diese Menschen aber weder gesetzliche Vertreter haben, noch Angehörigen oder Menschen, die dem Verstorbenen „in besonderer persönlicher Verbundenheit offenkundig nahegestanden haben“ (vgl. § 4 Abs. 2 TPG-E).
Gut ist zwar mit Blick auf den Ausschluss einer Organentnahme z. B. bei festgestellter Demenz oder starken Depressionen, dass in § 4 Abs. 5 TPG-E festgestellt wird, dass eine bei einer Organentnahme bei fehlender Einwilligungsfähigkeit zum Zeitpunkt der Entnahme unzulässig ist (vgl. Begründung auf Seite 15). Allerdings halten wir die für die Anwendung des Ausschlusses vorgeschlagene Unterscheidung zwischen einem „erheblichen“ bzw. kurzen Zeitpunkt vor der Feststellung des Todes für nicht hinreichend bestimmt und auch in der Praxis schwer handhabbar und damit missbrauchsanfällig. Mit Blick auf die Erheblichkeit des Grundrechtseingriffs halten wir deshalb eine Überarbeitung für zwingend geboten.
- Zu Art. 1 Nr. 5e – § 4 Abs. 6 TPG-E
Gemäß § 4 Abs. 6 TPG-E gilt für Ausländerinnen und Ausländer, die nach Deutschland eingereist sind und die keine Erklärung zur Organ- und Gewebespende abgegeben haben während der ersten zwölf Monate nach der Einreise die Regelung des § 4 Abs. 4 TPG-E zur Entnahme von Organen bei Minderjährigen entsprechend. Demnach ist eine Organentnahme nur zulässig, wenn der nächste Angehörige über eine in Frage kommende Organ- oder Gewebeentnahme unterrichtet wurde und ihr zugestimmt hat. Die beiden christlichen Kirchen geben zu bedenken, dass der Anknüpfungspunkt an den Zeitraum der ersten zwölf Monate nach der Einreise für die behandelnden Ärztinnen und Ärzte nur schwer handhabbar sein wird und der spezifischen Situation einiger Ausländerinnen und Ausländer nicht gerecht wird. So könnten Personen, die sich in einem laufenden Asylverfahren mit einer Gestattung in Deutschland aufhalten, ausschließlich über die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung Informationen über die Organspende und die Möglichkeit eines Widerspruchs hiergegen erhalten, da diese Personengruppe nicht in das Krankenversicherungssystem einbezogen ist. Diese Information würde die Betroffenen mehrheitlich erreichen, während sie noch in Gemeinschaftsunterkünften leben und auf das Ergebnis ihres Asylverfahrens warten. Sie erhalten gemäß § 2 Abs. 1 S. 1, § 4 AsylbLG in der Regel lediglich medizinische Leistungen zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände sowie im Rahmen einer Schwangerschaft und Geburt notwendige Behandlungen. Gemäß § 6 Abs. 1 AsylbLG können darüberhinausgehende medizinische Bedarfe gedeckt werden, wenn sie im Einzelfall zur Sicherung der Gesundheit unerlässlich sind.
Die beiden christlichen Kirchen haben große Zweifel daran, dass es gelingen kann, Personen im laufenden Asylverfahren zu vermitteln, dass eine Entscheidung für oder gegen eine Organspende keinen Einfluss auf den Ausgang des Asylverfahrens haben kann. Wir schlagen deshalb vor, anstelle des Zeitraums der ersten zwölf Monate nach der Einreise an einen dauerhaften Aufenthaltstitel nach §§ 16 ff AufenthG bzw. für Freizügigkeitsberechtigte an eine zwölfmonatige Meldeadresse in Deutschland anzuknüpfen. So kann gewährleistet werden, dass die betroffenen Personen einen gesicherten Aufenthalt in Deutschland haben, der in einen dauerhaften Aufenthalt erwachsen kann und in das System der Krankenversicherungen einbezogen sind.
Schließlich wäre es den Ärzten durch einen Blick in den Aufenthaltstitel möglich zu erkennen, dass ein nicht nur vorübergehender bzw. gesicherter Aufenthaltsstatus vorliegt.
Berlin, den 27.01.2025
[1] Zur Haltung im Judentum zur Organspende vgl. Artikel „Organspende“ von Yves Nordmann in dem vom Zentralrat der Juden in Deutschland und Schweizerisch-Israelitischen Gemeindebund herausgegebenen Band „‚Lehre mich, Ewiger, Deinen Weg‘ – Ethik im Judentum“ (Berlin 2015, S. 111-122).
[2] Zentralrat der Muslime in Deutschland, Organ- und Gewebespenden aus islamischer Sicht (2013). Zum vorliegenden Gesetzesentwurf äußert Abdassamad El Yazidi, Vorsitzender des Vorstands des Zentralrats der Muslime: „Die Bereitschaft zur Organspende nach dem Tod ist ein Zeichen der Barmherzigkeit und wird als eine gute Tat angesehen im Islam. Für jede gute Tat ist die eindeutige, gute Absicht entscheidend. Diese Eindeutigkeit ist beim gegenwärtigen Ansatz der Widerspruchslösung nicht mehr gewährleistet.“
3 Gemeinsame ökumenische Stellungnahme vom 19.09.2019 zu den beiden Gesetzesentwürfen BT-Drs. 19/11096 und BT-Drs. 19/11087.
[3] Jochen Sautermeister, Organspende, Eine neue Initiative für die Widerspruchslösung, Stimmen der Zeit (10/2024), S. 763 (770).
[4] BT-Drs. 20/13804, S. 1.
[5] BT-Drs. 20/13804, S. 14.
[6] https://www.dso.de/organspende/statistiken-berichte/organspende
[7] https://www.swisstransplant.org/de/organ-gewebespende/rechtliche-grundlagen/regelung-in-europa.
[8] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/226978/umfrage/anzahl-postmortaler-organspender-in-ausgewaehlten-laendern/
[9] Zum Verfahren in den USA vgl. WD 9 – 3000 – 025/18.
[10] https://www.mpg.de/23725156/1113-bild-organspende-widerspruchsloesung-erhoeht-die-spendenrate-nicht-149835-x
[11] Zur Regulierung in Österreich vgl. Karin Bruckmüller, Transplantationsrecht in Österreich, MedR (2022) 40:809-817.
[12] Vgl. Debatte im Deutschen Bundestag am 5.12.2014 (1. Lesung), Protokoll zu Zusatzpunkt 11, S. 26254 ff.
[13] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/154765/umfrage/organspender-pro-mio-einwohner-in-deutschland/