zwei Hände ernten Bohnen
Gentechnik
Dezember 2023

Stellungnahme zum Kommissionsvorschlag einer EU-Verordnung über mit bestimmten neuen genomischen Techniken gewonnene Pflanzen und die aus ihnen gewonnenen Lebens- und Futtermittel sowie zur Änderung der Verordnung (EU) 2017/625

I. Grundsätzliches

Die katholische Soziallehre steht dem Einsatz von Gentechnik in der Pflanzenzüchtung nicht per se ablehnend gegenüber. Vielmehr werden Eingriffe in die Natur grundsätzlich als zulässig angesehen, wenn sie verantwortungsvoll und unter Beachtung des Vorsorgeprinzips vorgenommen werden, die Ordnung, die Schönheit und den Nutzen der einzelnen Lebewesen und ihrer Rolle innerhalb des Ökosystems berücksichtigen und den Lebewesen und der natürlichen Umwelt keinen Schaden zufügen[1]. Auch Papst Franziskus äußert in seiner Enzyklika Laudato Sí unter Bezugnahme auf Papst Johannes Paul II. Wertschätzung für den Beitrag von Molekularbiologie und Genetik in ihrer Anwendung in der Landwirtschaft, warnt aber auch vor der Leugnung ihrer negativen Effekte und verlangt, dass jeder Eingriff in ein Ökosystem seine Folgen für das Ökosystem bedenken muss[2]. Er ergänzt diese Einschätzung dann um deutliche Hinweise auf die in manchen Regionen verheerenden Folgen, die eine Fehlanreize setzende Regulierung des Anbaus von gentechnisch veränderten Getreidesorten für Menschen, das regionale Sozialgefüge und die Biodiversität haben[3].

Gentechnik in der Landwirtschaft, ob alte oder neue, ist insofern für sich genommen weder gut noch schlecht, sie wird es erst durch ihre Anwendung, ihre Einsatzbedingungen und deren konkrete Regulierung. Dementsprechend werden wir im Folgenden keine grundsätzliche Bewertung von Gentechnik oder von sogenannten neuen Züchtungstechnologien vornehmen. Wir beschränken uns vielmehr auf eine Bewertung des konkreten, von der Europäischen Kommission vorgelegten Vorschlags einer „Verordnung über mit bestimmten neuen genomischen Techniken gewonnene Pflanzen und die aus ihnen gewonnene Lebens- und Futtermittel sowie zur Änderung der Verordnung (EU) 2017/624“ (2023/0226 (COD)) [im Folgenden: NGT-Verordnungsentwurf].

II. Im Einzelnen

1. Ziel und Grundbegriffe
Der NGT-Verordnungsentwurf enthält besondere Vorschriften für die absichtliche, zu anderen Zwecken als dem Inverkehrbringen vorgenommene Freisetzung von Pflanzen, die mit neuen genomischen Züchtungstechniken [im Folgenden: NGT] gewonnen werden [im Folgenden: NGT-Pflanzen], sowie für das Inverkehrbringen von Lebensmitteln, Futtermitteln und anderen Erzeugnissen, die solche Pflanzenenthalten oder aus ihnen bestehen [im Folgenden: NGT-Erzeugnisse]. Nach der Verordnungsbegründung verfolgt die Europäische Kommission mit dem NGT-Verordnungsentwurf das spezifische Ziel, Verfahren für die absichtliche Freisetzung und das Inverkehrbringen einzurichten, die sicherstellen, dass NGT-Pflanzen und die aus ihnen gewonnenen Lebens- und Futtermittel genauso sicher sind wie die entsprechenden herkömmlichen Pflanzen bzw. Lebens- und Futtermittel, ohne dass unnötiger Verwaltungsaufwand verursacht wird[4]. Dafür sollen NGT-Pflanzen, wie es insbesondere Erwägungsgrund 14 NGT-Verordnungsentwurf ausführt, wie Pflanzen behandelt werden, die natürlich vorkommen oder durch herkömmliche Züchtungstechniken erzeugt wurden, da sie gleichwertig und ihre Risiken vergleichbar seien.

Unter NGT-Pflanze wird in dem NGT-Verordnungsentwurf dabei eine „genetisch veränderte Pflanze, die durch gezielte Mutagenese oder Cisgenese oder eine Kombination daraus gewonnen wurde (…)“, verstanden. Unter „gezielter Mutagenese“ werden Mutageneseverfahren definiert, „die zu Veränderungen der DNA-Sequenz an spezifischen Stellen im Genom eines Organismus führen“, während „Cisgenese“ im NGT-Verordnungsentwurf „Verfahren der genetischen Veränderung“ bezeichnen, „die zur Einführung von bereits im Genpool der Züchter vorhandenem genetischen Material in das Genom eines Organismus führen“. Von der sog. Transgenese unterscheiden sich beide Verfahren dadurch, dass sie kein genetisches Material von nicht kreuzungsfähigen Arten permanent in den Empfängerorganismus einführen.

2. Grundkonstrukt
Der NGT-Verordnungsentwurf unterteilt NGT-Pflanzen zunächst in zwei Kategorien: NGT-Pflanzen der ersten Kategorie [im Folgenden: NGT 1-Pflanzen] zeichnen sich dadurch aus, dass sie entweder die in Anhang I des NGT-Verordnungsentwurfs aufgeführten „Kriterien für die Gleichwertigkeit mit herkömmlichen Pflanzen“ erfüllen oder dass sie Nachkommen der so definierten NGT 1-Pflanzen sind. Die zweite Kategorie der NGT-Pflanzen [im Folgenden: NGT 2-Pflanzen] erfasst dann alle NGT-Pflanzen, die durch NGT hergestellt wurden, aber nicht zu den NGT 1-Pflanzen gehören. Der NGT-Verordnungsentwurf führt dann unterschiedliche Regelungen für diese beiden unterschiedlichen Kategorien von NGT-Pflanzen ein. Da die ganz überwiegende Mehrheit der aktuell bekannten, global in der Kommerzialisierungspipeline befindlichen, mit neuen Züchtungstechniken erzeugten Pflanzen solche sind, die die Kriterien für eine NGT 1-Pflanze erfüllen würden, wird sich im Folgenden auf die im NGT-Verordnungsentwurf enthaltenen Regelungen zu NGT 1-Pflanzen konzentriert.

Im Zentrum der Regulierung dieser NGT 1-Pflanzen steht Artikel 5 Absatz 1 NGT-Verordnungsentwurf. Hiernach gelten die für genetisch veränderte Organismen [im Folgenden: GVO] geltenden Rechtsvorschriften der EU nicht für NGT 1-Pflanzen. Ausweislich des Erwägungsgrundes 14 NGT-Verordnungsentwurf ist Grund dieser Freistellung, dass die NGT 1-Pflanzen natürlich vorkommenden oder durch herkömmliche Züchtungsverfahren generierten Pflanzen in ihren Risiken vergleichbar und gleichwertig sein sollen. Die so geschaffene definitorische Trennung zwischen NGT 1-Pflanzen und GVO hat zur Folge, dass NGT 1-Pflanzen insbesondere nicht den strengen Freisetzungsvorschriften der Richtlinie 2001/17/EG [im Folgenden: Freisetzungsrichtlinie] unterworfen sind, die vor dem Ausbringen eines GVO in die Umwelt ohne spezifische Einschließungsmaßnahmen [im Folgenden: Freisetzung] u.a. den Nachweis der Durchführung einer in den Anhängen der Freisetzungsrichtlinie weiter ausgeführten Umweltverträglichkeits- und Risikoprüfung fordert. Ebenso fallen NGT 1-Pflanzen aus der Verordnung (EG) 1829/2003 heraus, so dass insbesondere deren Überwachungs- und Kennzeichnungspflichten für NGT-Erzeugnisse als Lebens- und Futtermittel nicht gelten.

Der NGT-Verordnungsentwurf führt dann zwei neue Verfahren ein: das erste regelt die Voraussetzungen, nach denen NGT 1-Pflanzen für einen anderen Zweck als das Inverkehrbringen in der Umwelt freigesetzt werden dürfen, während das zweite Verfahren die Voraussetzungen festlegt, unter denen Erzeugnisse aus NGT 1-Pflanzen in Verkehr gebracht, also entgeltlich oder unentgeltlich für Dritte bereitgestellt, werden können. Trotz teilweise leicht voneinander abweichender Konsultationserfordernissen beschränken sich beide Verfahren dann im Kern darauf, dass die zuständige Behörde die betreffende NGT 1-Pflanze daraufhin überprüfen muss, ob sie die in Anhang I des NGT-Verordnungsentwurfs aufgeführten Kriterien erfüllt, also tatsächlich als NGT 1-Pflanze zu qualifizieren ist, oder ob sie Nachkomme einer solchen NGT 1-Pflanze ist. Nach dem Anhang I des NGT-Verordnungsentwurfs ist eine durch NGT veränderte Pflanze dann NGT 1-Pflanze, wenn „sie sich von der Empfänger-/ Elternpflanze durch nicht mehr als 20 genetische Veränderungen der unter den Nummern 1 bis 5 genannten Arten in einer DNA-Sequenz unterscheidet (…)“. Im nächsten Satz des Anhang I werden dann in den Nummern 1 bis 5 verschiedene Varianten von durch gezielte Mutagenese und/oder Cisgenese herbeigeführten Genveränderungen aufgeführt. Nach der Überprüfung, ob die betreffende Pflanze diese Kriterien erfüllt, trifft die zuständige Behörde zu ihrem NGT 1-Status eine Feststellung, die für alle EU-Mitgliedstaaten Geltung beansprucht. Bestätigt sie diesen, ist das Verfahren abgeschlossen und die NGT 1-Pflanze kann in die Umwelt freigesetzt werden. Ein NGT 1-Erzeugnis muss dann nur noch in dem Fall separat auf den NGT 1-Status seiner pflanzlichen Bestandteile überprüft werden, wenn eine positive Status-Feststellung zu der NGT 1-Pflanze noch nicht vorliegt. Eine Nachschau oder -kontrolle ist in keinem Fall mehr vorgesehen. Wurde eine NGT 1-Pflanze von der zuständigen Behörde als NGT 1- Pflanze festgestellt, darf diese ohne weitere Einschränkungen, insbesondere Einschließungsmaßnahmen oder Sicherheitsabstände, in die Umwelt freigesetzt und ihre Erzeugnisse in Verkehr gebracht werden.

3. Grundsatzkritik
Dass eine NGT 1-Pflanze, allein weil sie die Kriterien des Anhang I des NGT-Verordnungsentwurfs erfüllt, als „gleichwertig mit herkömmlichen Pflanzen“ qualifiziert werden soll, halten wir für rhetorisch irreführend und inhaltlich unzutreffend. Die dann an diese Qualifikation der Pflanze als NGT 1-Pflanze anknüpfende, vollständige und automatische Freistellung ihrer Freisetzung und des Inverkehrbringens ihrer Erzeugnisse von jeglicher Risikoprüfung halten wir für sachlich verfehlt.

a. Dass nach dem Wortlaut des Anhang I eine NGT 1-Pflanze als „gleichwertig mit herkömmlichen Pflanzen“ gelten soll, ist ersichtlich zumindest auch darauf ausgerichtet, den allgemeinen Sprachgebrauch und damit die öffentliche Wahrnehmung zu befördern, dass es sich bei NGT 1-Pflanzen nicht um GVO handelt.
Das empfinden wir als rhetorisch irreführend und nicht hilfreich.

Begrifflich unklar ist dabei zunächst schon, was im NGT-Verordnungsentwurf unter dem Begriff der „herkömmlichen“ Pflanzen oder Züchtungsmethoden verstanden wird – eine Legaldefinition fehlt. Lediglich in der Begründung des NGT-Verordnungsentwurfs unterscheidet die Europäische Kommission zwischen „herkömmlichen Züchtungsmethoden und „etablierten genomischen Techniken“, wobei sie unter den letztgenannten Begriff wohl auch die klassische ungezielte Mutagenese fasst[5]. Aus Gründen der Rechtsklarheit halten wir es für erforderlich, diese oder jedenfalls eine Definition von „herkömmlich“ auch in den Gesetzestext einer zukünftigen NGT-Verordnung aufzunehmen. Aktuell wird sich hier dem Sprachgebrauch aus der Begründung des NGT-Verordnungsentwurfs erst einmal angeschlossen.

Sachlich eindeutig ist hingegen, dass es sich sowohl bei der gezielten Mutagenese und Cisgenese als auch bei der klassischen ungezielten Mutagenese um Verfahren der Gentechnik handelt. Dementsprechend sind die mit diesen Verfahren erzeugten Organismen auch gentechnisch verändert, also begrifflich GVO. Natürlich kann der europäische Gesetzgeber zwischen mit unterschiedlichen Gentechnikverfahren erzeugten GVO unterscheiden und unterschiedliche Sicherheitsanforderungen für sie festlegen. Dies hat er bereits mit Blick auf durch ungezielte Mutagenese erzeugte Organismen getan. Diese werden, wie es der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil Confédération paysanne bestätigte[6], von der Freisetzungsrichtlinie zwar als GVO definiert, aber über eine Ausnahme von den sonst für GVO geltenden Regelungen der Freisetzungsrichtlinie freigestellt. Aus unserer Sicht ist es daher dringend zu empfehlen, auch in einer NGT-Verordnung bzw. einer zukünftigen Regelung von genomeditierten Pflanzen soweit wie möglich die korrekte Nomenklatur zu verwenden. Andernfalls setzt sich der Gesetzgeber dem Vorwurf der absichtlichen Verzerrung von Fakten aus und erzeugt Misstrauen. Dies ist einer sachlichen öffentlichen Debatte nicht zuträglich.

b. Nach den Kriterien des Anhang I des NGT-Verordnungsentwurfs ergibt sich die „Gleichwertigkeit“ einer NGT 1-Pflanze mit „herkömmlichen Pflanzen“ daraus, dass sie sich von ihrer „Empfänger-/Elternpflanze durch nicht mehr als 20 genetische Veränderungen“ einer bestimmten, dann in den Nr. 1 bis 5 aufgeführten Arten „in einer DNA-Sequenz unterscheidet“. Die Qualifikation von NGT 1-Pflanzen als „gleichwertig“ ist in der Konstruktion des NGT-Verordnungsentwurf deswegen wichtig, weil sie, wie sich u.a. aus Erwägungsgrund 14 des NGT-Verordnungsvorschlags ergibt, einen von zwei Gründen für die Herausnahme von NGT 1-Pflanzen aus den GVO-Rechtsvorschriften der EU darstellt. Bedauerlicherweise definiert die Europäische Kommission den Begriff „gleichwertig“ nicht weiter. Allerdings lässt sich dem Erwägungsgrund 14 entnehmen, dass diese vermeintlich[7] geringe Anzahl von „nicht mehr als 20 genetischen Veränderungen“ bei einer NGT 1-Pflanze im Vergleich zu ihrer Empfänger-/Elternpflanze Art und Umfang der genetischen Veränderungen widerspiegeln soll, die in der Natur oder in Organismen, die mit herkömmlichen Züchtungsverfahren gewonnen wurden, beobachtet werden. Ob dies zutrifft, kann hier dahinstehen. Jedenfalls impliziert dieser quantitative Ansatz, dass die zwischen Empfänger-/Elternpflanze und NGT 1-Pflanze bestehenden Unterschiede mit Blick auf ihre insbesondere risikotechnische Regulierung zu vernachlässigen seien. Ein solcher Rückschluss entbehrt aber einer wissenschaftlichen Grundlage. Generell können Pflanzen nicht allein auf Basis ihrer DNA-Sequenzen als ‚gleichwertig‘ qualifiziert werden[8]. Gut vor Augen führt dies die Veränderung der Genaktivität durch epigenetische Regulierungsmechanismen, die zunehmend auch in der Pflanzenzüchtung Aufmerksamkeit erfahren. So kann die Ablesbarkeit einer DNA-Sequenz bspw. durch DNA-Methylierung modifiziert werden, ohne die DNA-Sequenz selbst zu verändern. Dennoch hat dieses Verfahren Auswirkungen auf komplexe Eigenschaften wie den Blütezeitpunkt oder die Primärwurzellänge einer Pflanze. Selbst die gleiche genetische Struktur kann also zu sehr unterschiedlichen Pflanzen führen. Aus vermeintlich nur geringfügigen genetischen Unterschieden kann daher erst recht nicht einfach auf die „Gleichwertigkeit“ von zwei Pflanzen geschlossen werden. Eine hieran anknüpfende Rechtsregulierung bzw. Freistellung von Sicherheits- und Risikoprüfungen ist wissenschaftlich nicht plausibel.

c. Dass der von der Europäischen Kommission für den NGT-Verordnungsentwurf gewählte, an die Anzahl von Genveränderungen anknüpfende Ansatz sachlich verfehlt ist, wird angesichts des zweiten Grundes für die Herausnahme von NGT 1-Pflanzen aus den GVO-Rechtsvorschriften der EU noch deutlicher: Nach Erwägungsgrund 14 NGT-Verordnungsentwurf sollen NGT 1-Pflanzen mit „natürlich vorkommen(den) oder durch herkömmlich Züchtungstechniken erzeugt(en)“ Pflanzen nicht nur „gleichwertig“, sondern auch „in ihren Risiken vergleichbar“ sein.

Ob NGT als Züchtungstechniken spezifische, neuartige Risiken aufweisen, ist dabei umstritten: Einige renommierte Wissenschaftsinstitute[9] sehen gegenwärtig keinen wissenschaftlichen Hinweis auf solche Risiken, andere[10] gehen von den NGT inhärenten, spezifischen Risiken aus und auch der Europäische Gerichtshof hat solche in seinem Urteil Confédération paysanne jedenfalls noch 2018 angenommen[11]. Ob mit den NGT spezifische, neuartige Risiken einhergehen, muss hier aber nicht entschieden werden. Denn der NGT-Verordnungsentwurf regelt nicht NGT an sich, sondern die Freisetzung von NGT-Pflanzen und das Inverkehrbringen von NGT-Erzeugnissen. Die im Anhang I des NGT-Verordnungsentwurfs aufgeführten Kriterien für eine NGT 1-Pflanze jedenfalls, die zur Freistellung von jeglicher Risikoprüfung führen, besitzen schlicht kaum Aussagekraft darüber, ob diese Pflanze ein Risiko für die pflanzliche, tierische oder menschliche Gesundheit oder die Umwelt darstellen kann oder nicht. Denn es ist – soweit ersichtlich – wissenschaftlich unstrittig, dass die Anzahl der genetischen Veränderungen[12] eines Organismus nicht ausschlaggebend für die Wirkung dieser genetischen Veränderung im Organismus und auf seine Umwelt ist. Vielmehr sind es die durch genetische Veränderungen hervorgebrachten Eigenschaften einer Pflanze und deren Verwendung, von denen Risiken für die Umwelt und die Gesundheit ausgehen können[13]. Da die Erfüllung der Kriterien des Anhang I des NGT-Verordnungsentwurfs somit keinen belastbaren Rückschluss auf die mit der NGT 1-Pflanze verbundenen
Risiken für Gesundheit und Umwelt zulässt, liefert die Qualifikation als NGT 1-Pflanze keinen hinreichenden Anknüpfungspunkt für einen Risikovergleich und erst recht nicht für eine Vergleichbarkeit mit den mit herkömmlichen Pflanzen verbundenen Risiken. Selbst wenn man sich daher der Auffassung anschließt, dass NGT als Züchtungsverfahren keine spezifischen Risiken aufweisen, kann daraus nicht geschlussfolgert werden, dass NGT 1-Pflanzen generell nicht mit Risiken verbunden sein können, nur weil sie durch NGT erzeugt wurden.

Zwar trifft es im Übrigen zu, dass die genetische Struktur, die bei einer NGT 1-Pflanze durch die Anwendung von NGT gezielt erzeugt wird, theoretisch auch zufällig durch spontane Mutation oder Gentransfer in der Natur, durch herkömmliche Züchtungsverfahren oder durch ungezielte Mutagenese entstehen könnte. Als Argument zugunsten einer Freistellung aller NGT 1-Pflanzen von jeglicher Risikoprüfung überzeugt dieser Umstand aber aus zwei Gründen nicht: Zum einen unterscheidet sich die gezielte Mutagenese schon in ihrer Eingriffsbreite von der der ungezielten Mutagenese oder herkömmlichen Züchtungsmethoden. Anders als diese führt sie im Pflanzengenom in der Regel zu multiplen Veränderungen an allen Gensequenzen mit den gleichen Gen-Informationen. Dasselbe Ergebnis mit herkömmlichen Züchtungsverfahren oder ungezielter Mutagenese zu produzieren oder in der Natur vorzufinden, ist daher unwahrscheinlich, auch wenn es nicht ausgeschlossen werden kann. Dieser Umstand belegt daher gerade umgekehrt, dass die Anwendung von NGT ganz überwiegend nicht zu denselben Ergebnissen wie herkömmliche Züchtungsverfahren oder die Zufälle der Natur führen. Eine Freistellung aller NGT 1-Pflanzen von jeglicher Risikoprüfung kann aber nicht mit der Ausnahme von der Regel begründet werden, nach der in einem Einzelfall eine Risikoprüfung nicht erforderlich sein mag. Zum anderen sagt aber auch der Ausnahmefall, in dem die genetischen Veränderungen einer NGT 1-Pflanze auch in der Natur vorkommen oder durch herkömmliche Züchtungsverfahren oder ungezielte Mutagenese generiert werden könnten, kaum etwas über die mit dieser spezifischen Pflanze oder ihrer Verwendung verbundenen Risiken aus, insbesondere nicht, ob diese gering oder hoch für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt sind. Diese Risiken können nur durch die Untersuchung der Eigenschaften der NGT 1-Pflanze und die Prüfung der von diesen Eigenschaften und von der Verwendung der Pflanze ausgehenden Auswirkungen auf die Gesundheit und Umwelt, also eine eigenschaftsbezogene, adäquate Risikoprüfung, identifiziert und eingeschätzt werden.

d. Im Ergebnis begründen also die vom Anhang I des NGT-Verordnungsentwurfs aufgeführten Kriterien für NGT 1-Pflanzen weder ihre ‚Gleichwertigkeit‘ mit herkömmlichen Pflanzen, noch erlauben sie hinreichend Erkenntnisse über die mit NGT 1-Pflanzen verbundenen Risiken. Vielmehr regelt der NGT-Verordnungsentwurf an mit NGT 1-Pflanzen möglicherweise verbundenen Risiken vorbei. Damit kann der NGT-Verordnungsentwurf sein selbstgesetztes Ziel, nämlich dass NGT-Pflanzen und die aus ihnen gewonnenen Lebens- und Futtermittel „genauso sicher sind wie die entsprechenden herkömmlichen Pflanzen bzw. Lebens- und Futtermittel“, nicht sicherstellen. Dabei kann der NGT-Verordnungsentwurf
seiner Konstruktion nach mögliche mit NGT 1-Pflanzen verbundene Risiken nicht einmal optional oder in Ausnahmefällen berücksichtigen. Da dies einer Leugnung der negativen Effekte der Gentechnik[14] gleichkommt, trägt der NGT-Verordnungsentwurf auch ethischen Anforderungen nicht hinreichend Rechnung.

4. Anwendung des Vorsorgeprinzips
Der NGT-Verordnungsentwurf ist darüber hinaus auch unter mehreren Gesichtspunkten mit dem Vorsorgeprinzip unvereinbar.

Bisher liegen mindestens zwei rechtswissenschaftliche Gutachten[15] vor, die dem NGT-Verordnungsentwurf die Verletzung des Artikel 191 Absatz 2 AEUV, der unionsrechtlich verankerten Fassung des Vorsorgeprinzips, attestieren. Insoweit nur ergänzend möchten wir darauf hinweisen, dass schon die Begründung einer ausnahmslosen Freistellung der NGT 1-Pflanzen von jeglicher Risikoprüfung mit einer Ausnahme von der Regel, in der eine Risikoprüfung nicht erforderlich sein mag[16], schwerlich mit dem Vorsorgeprinzip vereinbar sein kann. Auch stellt eine Freistellung anhand von Kriterien, die über die mit diesen Pflanzen verbundenen Risiken wenig aussagen, schon in der Konstruktion einen Ausfall der Berücksichtigung des Vorsorgeprinzips dar. Eine solche Regelung wäre nur dann mit dem Vorsorgeprinzip vereinbar, wenn wissenschaftlich hinreichend nachgewiesen wäre, dass weder NGT als Züchtungsverfahren spezifische Risiken aufweisen, noch die NGT 1-Pflanzen selbst mit Risiken verbunden sein könnten. Wie bereits dargestellt[17] ist Ersteres aber umstritten und das Zweitgenannte unzutreffend, da NGT 1-Pflanzen nicht schon deswegen keine Risiken aufweisen, weil sie NGT 1-Pflanzen sind.

Vielmehr liegen ernstzunehmende Hinweise dafür vor, dass NGT 1-Pflanzen Gefahren nicht rückholbare Schäden jedenfalls für ihre unmittelbare Umwelt und gegebenenfalls sogar für die Ökosysteme, in denen sie freigesetzt werden, begründen können. Einmal in die Umwelt freigesetzt, treten genomeditierte Pflanzen insbesondere durch Pollenflug oder Insektenaktivität in den Austausch mit anderen Organismen im Ökosystem und können diese Organismen, vor allem andere Pflanzen, aufgrund ihrer Merkmale verdrängen oder mit ihnen Gene austauschen und sie verändern. Dies kann Folgen für die in dem betroffenen Ökosystem existente Bodenzusammensetzung und Artenvielfalt und schließlich auch für die Menschen haben. Solche Kettenreaktionen sind allerdings nicht nur für genomeditierte oder NGT 1-Pflanzen denkbar, sondern können je nach ihren Merkmalen auch von mit herkömmlichen Züchtungsverfahren erzeugten oder natürlich entstandenen Pflanzen in einem Ökosystem verursacht werden. NGT 1-Pflanzen aber keiner Umweltverträglichkeits- oder Risikoprüfung zu unterziehen, nur weil natürlich entstandene oder herkömmlich gezüchtete Pflanzen keiner solchen Prüfung unterliegen, vergrößert bereits bestehende Risiken und erscheint angesichts des Ausmaßes möglicher Schäden nicht verantwortbar. Denn die Schäden, die durch die Einführung von sogar natürlich vorkommenden, aber bisher fremden Arten in ein Ökosystem verursacht werden können, sind gut belegt: Nach einer der jüngsten Veröffentlichungen des IPBES vom September 2023 stellen invasive Pflanzenarten in terrestrischen Ökosystemen diejenige taxonomische Gruppe dar, zu denen die meisten Berichte über schädliche Wirkungen insbesondere auf Ackerland, in Mischwäldern und der nördlichsten Waldzone der Erde vorliegen[18], obwohl sie nur etwa 6 % aller in ein Ökosystem neu eingebrachten Fremdpflanzen ausmachen[19]. Dabei werden die Faktoren, die gerade zu besonders großen Schäden durch die Eintragung invasiver Arten in ein Ökosystem führen, bisher nicht gut verstanden[20]. Trotz vieler Jahre der Forschung hat sich – soweit ersichtlich – die Vorhersage der Wirkungen invasiver Arten in einem bestimmten Ökosystem bisher als unmöglich erwiesen.

Zwar sind invasive Arten und genomeditierte oder NGT 1-Pflanzen nur bedingt vergleichbar. Gleichwohl hat der Wissenschaftliche Dienst des Europäischen Parlaments bereits 2017 auf die, der Wirkung invasiver Arten ähnlichen, potenziellen Schadensfolgen der Freisetzung genomeditierter Pflanzen für ein ganzes Ökosystem aufmerksam gemacht. So hat er darauf hingewiesen, dass die Freisetzung genomeditierter Pflanzen unbeabsichtigt zum Verschwinden ganzer Tierpopulationen und zu irreversiblen Störungen des gesamten Ökosystems führen kann[21]. Auch eine von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebene Studie kam zu ähnlichen Ergebnissen[22]. Sehenden Auges die Risiken des Eintritts solcher ökosystemarer Schäden zu vergrößern, widerspricht dem umweltethischen Grundsatz[23], ökologische Risiken im Rahmen der technischen, wirtschaftlichen und politischen Handlungsmöglichkeiten auf dem geringst möglichen Maß zu halten.

Zu konstatieren ist auf der anderen Seite, dass NGT– soweit ersichtlich – ein nicht zu unterschätzendes wirtschaftliches Potenzial für die Pflanzenzüchtung und die Landwirtschaft besitzen. Denn NGT sind nicht nur mit verhältnismäßig geringeren Kosten verbunden, sondern führen auch schneller zu Ergebnissen. Es ist daher nachvollziehbar, dass innerhalb der Europäischen Union die Sorge besteht, im
internationalen Wettbewerb um die beste Pflanzenforschung und -zucht zurückzufallen. Nach Auffassung der Europäischen Kommission und von Stimmen insbesondere aus der Landwirtschaft, der Pflanzenzüchtung und der Wissenschaft beinhalten NGT dabei ein großes Potenzial dafür, Pflanzen zu erzeugen, die eine höhere Leistungsfähigkeit, eine stärkere Stressresistenz, eine bessere Resilienz
gegenüber den Folgen des Klimawandels und eine höhere Schädlingsresistenz, die weniger Pestizideinsatz notwendig macht, aufweisen. Vor dem Hintergrund der bisherigen Erfahrungen mit der klassischen Gentechnik sehen wir die Möglichkeiten der Realisierung der genannten Potenziale allerdings skeptisch. Angesichts der eben dargestellten Risiken nicht rückholbarer ökosystemarer Schäden sehen wir auf der anderen Seite die Gefahr, dass, wie Papst Franziskus es schreibt, „[e]ine mit Geschäftsinteressen verknüpfte Technologie, die behauptet, die einzige Lösung der Probleme zu sein, (…) in der Tat nicht fähig [ist], das Geheimnis der vielfältigen Beziehungen zu sehen, die zwischen den Dingen bestehen, und löst deshalb manchmal ein Problem, indem sie andere schafft“[24]. Noch weniger schließlich teilen wir die von manchen artikulierte Hoffnung, dass mit NGT-Pflanzen der Hunger in der Welt bekämpft werden könnte. Denn dieser Hunger wird im Schwerpunkt durch die ungerechte Verteilung der weltweit erzeugten Kalorien, durch Ernteverluste, ineffektive und nicht nachhaltige landwirtschaftliche Anbaumethoden und Lebensmittelverschwendung verursacht. Im Vergleich zu diesen Faktoren kommen der Qualität und Anpassungsfähigkeit der angebauten Pflanzensorten eine verhältnismäßig geringere Bedeutung zu. Gleichwohl halten wir es für möglich, dass NGT in bestimmten Konstellationen und Situationen ein nützliches Instrument für die schnelle Anpassung von Pflanzen an neue Herausforderungen sein können. Aus unserer Sicht ist es daher wichtig, dass die deutsche und die europäische Pflanzenforschung, die Pflanzenzüchtung und die Landwirtschaft weder von den Entwicklungen der NGT abgekoppelt, noch von ihnen abgehängt wird.

Der im NGT-Verordnungsentwurf gewählte Regulierungsweg geht aber weit über dieses oder vergleichbare Ziele hinaus. Denn er stellt die Freisetzung von NGT 1-Pflanzen und das Inverkehrbringen von ihren Erzeugnissen nicht nur auf Basis sachlich verfehlter Kriterien von jeglicher Risikoprüfung frei, er sieht auch – anders als die GVO-Rechtsvorschriften der EU – keinerlei Einschließungs- oder andere Sicherungsmaßnahmen wie Mindestabstände oder Kennzeichnungen für ihren Anbau bzw. ihre Anbaugebiete vor, ermöglicht diese nicht einmal als mitgliedstaatliche Option. Unter diesen Umständen erscheint es unseres Erachtens möglich, wenn nicht wahrscheinlich, dass die unkontrollierte Freisetzung von NGT 1-Pflanzen dazu führen wird, dass diese sich in ihr direktes Umfeld und über die Zeit auch in ganze Ökosysteme, sensibel oder nicht, eintragen und auskreuzen. Eine solche unkontrollierte genetische Durchwirkung existenter Ökosysteme mit NGT 1-Pflanzen in Kauf zu nehmen, um NGT und deren vermuteten Potenziale zu erschließen, halten wir in der Abwägung für nicht akzeptabel. Da es darüber hinaus möglich ist, dass unter den freigesetzten NGT 1-Pflanzen auch solche sind, die wie invasive Pflanzenarten Schäden an ganzen Ökosystemen oder an Teilen von diesen anrichten, halten wir den im NGT-Verordnungsentwurf vorgesehenen Ansatz, NGT 1-Pflanzen und -Erzeugnisse ohne Risikoprüfung und Einschließungs- oder Sicherungsmaßnahmen freizusetzen oder in den Verkehr zu bringen, für nicht verantwortbar. Der NGT-Verordnungsentwurf ist daher auch unter diesem Gesichtspunkt mit dem Vorsorgeprinzip nicht vereinbar.

5. Koexistenz und Wahlfreiheit
Der NGT-Verordnungsentwurf sieht vor, dass NGT 1-Pflanzen nicht nur ohne Risikoprüfung, sondern auch ohne Einschließungs- oder Sicherungsmaßnahmen, wie Mindestabstände, freigesetzt und aus NGT 1-Pflanzen bestehende oder sie enthaltende Erzeugnisse ohne Kennzeichnung in den Verkehr gebracht werden dürfen. Allerdings soll die Verwendung von NGT 1-Pflanzen mit einer ökologischen/biologischen Produktion unvereinbar sein. Eine vergleichbare Regelung für die gentechnikfreie konventionelle Landwirtschaft sieht der NGT-Verordnungsentwurf nicht vor. Eine Kennzeichnungspflicht wird für Pflanzenvermehrungsmaterial vorgesehen, das NGT 1-Pflanzen enthält oder aus solchen besteht. Da aber NGT 1-Pflanzen nicht mehr als GVO im Sinne der GVO-Rechtsvorschriften der EU gelten sollen, entfällt eine Kennzeichnungspflicht für aus NGT 1-Pflanzen bestehende oder solche enthaltende Lebens- und Futtermittel.

Mit diesen Regelungsvorschlägen verwischt die Europäische Kommission die Abgrenzung von ökologischer, gentechnikfreier konventioneller und GVO nutzender Landwirtschaft und beschädigt so den bisher im deutschen wie im europäischen Gentechnikrecht geltenden Grundsatz der Koexistenz. Dieser Grundsatz soll das Nebeneinander der verschiedenen Bewirtschaftungsmodelle in der Landwirtschaft ermöglichen und sie vor ökonomischen Schäden schützen. Ökologische Landwirtschaftsbetriebe müssen, konventionell wirtschaftende Landwirtschaftsbetriebe können grundsätzlich[25] gentechnikfrei wirtschaften und dies mit dem europäischen Bio-Siegel bzw. der „Ohne-Gentechnik“-Kennzeichnung auch nach außen für die Vermarktung ihrer Produkte dokumentieren. Diese Transparenz gibt den Verbraucherinnen und Verbrauchern die Wahlfreiheit, sich für oder gegen den Kauf gentechnikfreier Produkte zu entscheiden. Die dementsprechende Nachfrage bestimmt dann den ökonomischen Erfolg des jeweiligen landwirtschaftlichen Bewirtschaftungsmodells und des hieran anschließenden verarbeitenden, vertreibenden und verkaufenden Gewerbes.

Der NGT-Verordnungsentwurf torpediert so gut wie jeden dieser Aspekte. Die Kennzeichnungspflicht für NGT 1-Pflanzenvermehrungsmaterial sorgt zwar dafür, dass sich die Landwirtinnen und Landwirte mit Blick auf ihren eigenen Anbau für oder gegen NGT 1-Pflanzen entscheiden können. Die Freistellung des Anbaus von NGT 1-Pflanzen von Einschließungs- und Sicherungsmaßnahmen wie Mindestabstände oder Kennzeichnungen führt aber dazu, dass weder ein ökologisch wirtschaftender noch ein gentechnikfrei-konventioneller Landwirtschaftsbetrieb die Möglichkeit hat, den Eintrag von NGT 1-Pflanzen auf seine Felder zu verhindern. Sie werden nicht einmal erfahren und können auch nicht in Erfahrung bringen, ob ihre Nachbarn NGT 1-Pflanzen anbauen oder nicht. Der Eintrag und ggf. dann auch das Auskreuzen von NGT 1-Pflanzen in den eigenen Anbau kann dabei für einen ökologischen Landwirtschaftsbetrieb große ökonomische Schäden und das Aus seines Geschäftsmodells bedeuten, gerade weil NGT 1-Pflanzen mit dem ökologischen Landbau unvereinbar sind. Die bereits mancherorts diskutierte Streichung dieser Unvereinbarkeitsregelung, die dann ökologisch wirtschaftenden Landwirtinnen und Landwirten die vermeintliche Wahl gibt, selbst NGT 1-Pflanzen anzupflanzen, ist für die Koexistenz des ökologischen Landwirtschaftsmodells mit Gentechnik nutzenden konventionellen Landwirtschaftsbetrieben aber noch
verheerender. Denn damit würde eines der bisherigen Kernversprechen der ökologischen Landwirtschaft, die Gentechnikfreiheit, insgesamt und für alle ökologisch wirtschaftenden Betriebe aufgegeben und so allen, die dieses Geschäftsmodell betreiben, ob sie NGT 1-Pflanzen verwenden oder nicht, schaden. Aber auch die explizit gentechnikfrei wirtschaftenden, konventionellen Landwirtschaftsbetriebe werden vom NGT-Verordnungsentwurf existenziell betroffen. Denn zum einen können sie sich, wie der ökologische Landbau, gegen Einträge von NGT 1-Pflanzen nicht schützen. Aufgrund des Wegfalls der Kennzeichnungspflichten für NGT 1-Erzeugnisse können sie aber darüber hinaus beim Verkauf ihrer Erzeugnisse nicht zur Geltung bringen, dass sie keine NGT 1-Pflanzen verwenden. Dadurch, dass der NGT-Verordnungsentwurf NGT 1-Pflanzen von den GVO-Rechtsvorschriften ausnimmt, wird nämlich die „Ohne-Gentechnik“-Kennzeichnung auf Lebens- oder Futtermitteln keine Aussage mehr darüber zulassen, ob NGT 1-Pflanzen in dem betreffenden Erzeugnis enthalten sind oder nicht. Nutzen dann konventionelle Landwirtschaftsbetriebe die „Ohne-Gentechnik“-Kennzeichnung, obwohl sie NGT 1-Pflanzen einsetzen, müssen sie sich faktisch – wie gegebenenfalls auch der europäische Gesetzgeber – von Verbraucherinnen und Verbrauchern einen Etikettenschwindel vorwerfen lassen.

Insgesamt verwischt der NGT-Verordnungsentwurf so die Grenzen zwischen gentechnikfreien und Gentechnik nutzenden landwirtschaftlichen Betriebsformen, erschwert hierauf aufbauende Geschäftsmodelle oder macht sie sogar unmöglich. Eine Koexistenz der ökologischen, gentechnikfreien konventionellen und Gentechnik nutzenden Landwirtschaftsbetriebe ist unter diesen Bedingungen nicht mehr gewährleistet. Mit dem Wegfall der Kennzeichnungspflicht für NGT 1-Erzeugnisse verlieren darüber hinaus die Verbraucherinnen und Verbraucher die Möglichkeit, informierte Entscheidungen für oder gegen den Kauf NGT 1-Pflanzen-freier Produkte zu tätigen. Damit verlieren sie auch ihre Wahlfreiheit. Angesichts einer durch den NGT-Verordnungsentwurf entstehenden „Ohne-Gentechnik“-Kennzeichnung, die nichts über NGT 1-Pflanzen aussagt, werden die Verbraucherinnen und Verbraucher im Grunde sogar in die Irre geführt. Die vom NGT-Verordnungsentwurf beförderte, begriffliche Verschiebung von GVO zu NGT 1-Pflanzen wird so weiter vorangetrieben. Sollten die Verbraucherinnen und Verbraucher sich aber nicht in die Irre führen lassen, was man nur hoffen kann, würde die „Ohne-Gentechnik“-Kennzeichnung an Bedeutung für eine Kaufentscheidung verlieren. Das könnte dann nicht nur für die bisher auf Gentechnikfreiheit setzenden landwirtschaftlichen Betriebe möglicherweise gravierende wirtschaftliche Verluste bedeuten, sondern auch für das ihre Erzeugnisse verarbeitende, vertreibende und verkaufende Gewerbe.

Im Ergebnis beschädigt der NGT-Verordnungsentwurf daher den bisher im deutschen wie europäischen Gentechnikrecht geltenden Grundsatz der Koexistenz, bringt die Berufswahl und die Geschäftsmodelle ökologisch und gentechnikfrei-konventionell wirtschaftender Landwirtschaftsbetriebe wirtschaftlich in Gefahr und nimmt Verbraucherinnen und Verbrauchern ihre Wahlfreiheit, sich für oder gegen den Konsum von gentechnikfreien Produkten zu entscheiden. Das kann nicht gewollt sein.

6. Ergebnis
Der NGT-Verordnungsentwurf ist von einer irreführenden Nomenklatur geprägt. Sein Grundkonstrukt, die Freistellung der über die Anzahl ihrer genetischen Veränderungen definierten NGT 1-Pflanzen von jeglicher Risikoprüfung, ist sachlich verfehlt und regelt an möglicherweise mit NGT 1-Pflanzen verbundenen Risiken vorbei. Dieses Grundkonstrukt verstößt daher auch gegen das Vorsorgeprinzip. Ebenfalls nicht mit dem Vorsorgeprinzip vereinbar ist die im NGT-Verordnungsentwurf vorgesehene Freisetzung von NGT 1-Pflanzen ohne Verpflichtungen zu Einschließungs-, Sicherungs- oder Kennzeichnungsmaßnahmen. Das Fehlen der letztgenannten Verpflichtungen führt dazu, dass die Koexistenz von ökologischen, gentechnikfreien und Gentechnik nutzenden Landwirtschaftsbetrieben nicht mehr gewährleistet ist. Das ökologische Landwirtschaftsmodell wird durch den NGT-Verordnungsentwurf in Gefahr gebracht, die gentechnikfreie konventionelle Landwirtschaft wird umdefiniert. Die Verbraucherinnen und Verbraucher verlieren nach dem NGT-Verordnungsentwurf aufgrund der ausfallenden Kennzeichnung ihre Wahlfreiheit und sehen sich gleichzeitig bei der noch existenten Kennzeichnung irreführenden Bezeichnungen ausgesetzt.

Angesichts dieser grundsätzlichen und schwerwiegenden Mängel des NGT-Verordnungsentwurfs halten wir es für erforderlich, den Entwurf noch einmal grundlegend zu überarbeiten.

In die richtige Richtung zu gehen scheinen uns dabei diejenigen Stimmen aus der Wissenschaft[26], die einen zukünftigen Regulierungsrahmen für NGT-Pflanzen und -Erzeugnisse befürworten, der an deren Eigenschaften anknüpft und mit Blick auf diese und die Verwendung der Pflanze eine adäquate Umweltverträglichkeits- bzw. Risikoprüfungen vor der Freisetzung oder dem Inverkehrbringen festschreibt. Je nach Risikoprüfung und -ergebnis wäre dann vor der Freisetzung von NGT-Pflanzen auch über ggf. notwendige Einschließungs- oder Sicherungsmaßnahmen nachzudenken.

Berlin, 15. Dezember 2023


[1] Kompendium der katholischen Soziallehre, 1. Aufl., Freiburg 2006, Rz. 473.

[2] Enzyklika LAUDATO SI‘ von Papst Franziskus über die Sorge für das gemeinsame Haus, Libreria Editrice Vaticana/ hrsg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 2015 (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls; 202), Ziff. 131.

[3] Ebd. Ziff. 134.

[4] COM(2023) 411 final, Begründung, S. 4.

[5] COM(2023) 411 final, Begründung, S. 1.

[6] Europäischer Gerichtshof, Confédération paysanne, Rs. C-528/16, Urteil vom 25. Juli 2018, Rz. 30.

[7] Nach den Kriterien des Anhang I dürften deutlich mehr Veränderungen am Pflanzengenom möglich sein, als dies die vermeintlich geringe Anzahl 20 suggeriert. So dürfte jede der im Anhang I NGT-Verordnungsentwurf unter den Nummern 1 bis 5 genannten Arten der Veränderung jeweils als eine einzige der bis zu 20 erlaubten genetischen Veränderungen zählen. Darüber hinaus wird der Begriff der „Empfänger-/Elternpflanze“ nicht definiert wird, weswegen auch eine NGT 1-Pflanze als solche in Frage kommt, so dass NGT mehrfach hintereinander angewendet und multiple DNA-Sequenzen verändert werden, ohne dass die Pflanze ihren Status als NGT 1-Pflanze verliert.

[8] European Network of Scientists for Social and Environmental Responsibility (ENSSER), EU Commission’s proposal on new GM plants: no science, no safety, Berlin, 19.10.2023; unter: https://ensser.org/publications/2023/ensser-stellungnahme-der-vorschlag-der-eu-kommission-zu-neuen-gv-pflanzen-ist-unwissenschaftlich-und-verschleiert-deren-risiken/

[9] Vgl. bspw. Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, Union der deutschen Akademien der Wissenschaften und Deutsche Forschungsgemeinschaft, Wege zu einer wissenschaftlich begründeten differenzierten Regulierung genomeditierter Pflanzen in der EU. Halle (Saale) 2019, S. 13 ff.

[10] Vgl. bspw. European Network of Scientists for Social and Environmental Responsibility (ENSSER), s.o.; Testbiotech, Hintergrund 21-08-2023, Neue Gentechnik: Gesetzesvorschlag der EU-Kommission gefährdet Natur, Umwelt und die Zukunft unserer Lebensgrundlagen, unter: https://www.testbiotech.org/sites/default/files/Testbiotech_Hintergrund_%20NGT_Verordnung_final_0.pdf

[11] Europäischer Gerichtshof, Confédération paysanne, Rs. C-528/16, Urteil vom 25. Juli 2018, Rz. 47.

[12] Dies verdeutlicht im Bereich der Pflanzen etwa der genetische Vergleich zwischen Mais und seinem Vorfahren, dem Süßgras Teosinte: Dass die harten Samenschalen des Teosinte, die den Samen fest verschließen, bei Mais zu reduzierten Samenschalen wurden, die das Maiskorn an einem Kolben offenlegen und es überhaupt zu einem geeigneten Nahrungsmittel machten, liegt am Austausch eines einzigen Nukleotids, einer Punktmutation; vgl. https://www.pflanzenforschung.de/de/pflanzenwissen/journal/punktmutationen-schaffen-nahrungspflanzen-minimale-vera-10462.

[13] Vgl. bspw. Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, Union der deutschen Akademien der Wissenschaften und Deutsche Forschungsgemeinschaft (2019), s.o.; ebenso: Testbiotech, Hintergrund 31-08-2023, s.o.

[14] Siehe oben unter I.

[15] Prof. Dr. D. Tade Matthias Spranger (im Auftrag des Bundesamts für Naturschutz), Stellungnahme zum Vorschlag für eine Verordnung über mit bestimmten neuen genomischen Techniken gewonnene Pflanzen und die aus ihnen gewonnenen Lebens- und Futtermittel sowie zu Änderung der Verordnung (EU) 2017/625, Oktober 2023; Dr. Georg Buchholz (im Auftrag der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, Kommissionsvorschlag einer Verordnung über neue genomische Techniken (NGT): Zur Verletzung des Vorsorgeprinzips, Berlin, 14.9.2023.

[16] Siehe oben unter II. 3. lit. c.

[17] Ebd.

[18] IPBES, Invasive Alien Species and their control, A4, S. 22, unter: https://zenodo.org/records/10127924.

[19] Ebd., A1, S. 20,

[20] Ebd., A2, S. 20.

[21] Unter: https://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/IDAN/2017/598626/EPRS_IDA(2017)598626_DE.pdf, S. 33.

[22] Unter: https://ec.europa.eu/health/scientific_committees/emerging/docs/scenihr_o_050.pdf

[23] Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.): Handeln für die Zukunft der Schöpfung, Die deutschen Bischöfe – Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen Nr. 19, Bonn 1998, Ziff. 147.

[24] Enzyklika LAUDATO SI‘ von Papst Franziskus über die Sorge für das gemeinsame Haus, s.o., Ziff. 20.

[25] Der Schwellenwert für zufällige, technisch unvermeidbare GVO-Beimischungen liegt für Bio- und konventionelle Produkte einheitlich bei 0,9 Prozent. Anders als in der konventionellen sind bei der ökologischen Landwirtschaft aber u.a. auch Zusatzstoffe, Enzyme und Futtermittelzutaten, die mit Hilfe von gentechnisch veränderten Mikroorganismen hergestellt wurden, grundsätzlich verboten.

[26] Vgl. Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, Union der deutschen Akademien der Wissenschaften und Deutsche Forschungsgemeinschaft (2019), s.o., S. 35 f.

Stellungnahme
des Kommissariats der deutschen Bischöfe, Katholisches Büro in Berlin
zum

Kommissionsvorschlag einer EU-Verordnung über mit bestimmten neuen genomischen Techniken gewonnene Pflanzen und die aus ihnen gewonnenen Lebens- und Futtermittel sowie zur Änderung der Verordnung (EU) 2017/625