kleiner Junge hängt an Kletterstange auf einem Spielplatz draußen
Kindergrundsicherung
September 2023

Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Kindergrundsicherung und zur Änderung anderer Bestimmungen

I. Allgemeine Anmerkungen

Die Koalition hat für die aktuelle Legislaturperiode die Einführung einer eigenständigen Grundsicherungsleistung für Kinder und Jugendliche in Aussicht gestellt und dazu den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Kindergrundsicherung und zur Änderung anderer Bestimmungen vorgelegt.

In der so genannten Kindergrundsicherung sollen von den derzeitigen Leistungen für Familien das Kindergeld, der Kinderzuschlag, das Bürgergeld für Kinder und die Leistungen für Bildung und Teilhabe einfließen. Das Ziel dieser Reform ist es, die materielle Situation von Familien mit niedrigen Einkommen zu verbessern und dem Missstand abzuhelfen, dass Transferleistungen wie der Kinderzuschlag für Niedrigeinkommensbezieher viele Familien nicht erreichen. Die Kindergrundsicherung ist Teil der Bemühungen, gute Bedingungen für das Aufwachsen aller Kinder zu sichern und prekären Lebensverhältnissen entgegenzuwirken.

Diese gesellschaftspolitische Zielsetzung des Gesetzentwurfs unterstützen wir nachdrücklich. Deutschland ist ein wohlhabendes Land. Es muss ein vordringliches Ziel sein, allen Kindern und Jugendlichen das soziokulturelle Existenzminimum diskriminierungsfrei zu gewährleisten, sie ohne materielle Not aufwachsen zu lassen und ihre gesellschaftliche Teilhabe sicherzustellen.

Die Reform bringt nicht die deutlich bessere finanzielle Unterstützung für Familien, die sich viele unter dem Begriff „Kindergrundsicherung“ erhofft haben. Es stellt sich zudem die Frage, ob alle Kinder aus Familien mit niedrigen Einkommen tatsächlich mit der Neuregelung finanziell besser stehen als sie bei Fortschreibung der geltenden Kinderzuschlagsregelungen gestanden hätten.

Die geplanten Verbesserungen bei der Berechnung des soziokulturellen Existenzminimums sind zu begrüßen, reichen aber nicht aus. In der Vergangenheit haben zu viele Familien mit niedrigen Einkommen die ihnen über das Kindergeld hinaus zustehenden Leistungen nicht in Anspruch genommen – weil sie den Familien unbekannt oder in der Beantragung zu kompliziert sind. Mit der Reform ergibt sich die Chance, diese Zusatzleistungen zu vereinfachen und leichter zugänglich zu machen. Ob die vorgesehene Aufteilung der Anspruchsinhaberschaft, Berechtige des Kindergarantiebetrages sind wie bisher beim Kindergeld weitgehend die Eltern, Berechtigte des Kinderzusatzbetrages sind anders als beim bisherigen Kinderzuschlag die Kinder selbst, das Verfahren erleichtert oder eher Irritationen auslöst erscheint fraglich. Weitergehende Verfahrenserleichterungen als vorgesehen, insbesondere längere Bewilligungszeiträume, aber auch ein unmittelbarer, bruchloser Übergang von dem geplanten Kindergrundsicherungs-Check in das eigentliche Antragsverfahren, wären wünschenswert. Wenn es gelingen würde, durch die Reform mit Transferleistungen mehr Familien mit niedrigen Einkommen zu erreichen, wäre ein wichtiges Ziel erreicht. Es ist allerdings ernüchternd, wenn in der Gesetzesbegründung davon ausgegangen wird, dass der Kinderzusatzbetrag, der insbesondere den Kinderzuschlag ablöst und gerade Kindern in Familien mit niedrigen Einkommen gewährt werden soll, in einem ersten Schritt, wohl von weniger als der Hälfte der Berechtigten in Anspruch genommen werden wird. Eine Inanspruchnahme der Leistung von nur 47% der Berechtigten, mag zwar realistisch sein. Diese von der Bundesregierung zunächst erwartete Inanspruchnahme ist allerdings, wie der Deutsche Caritasverband zu Recht kritisiert, deutlich zu kurz gesprungen. Hier ist eine bessere Beratung und Unterstützung der Familien bei der Antragstellung von Nöten. Dies gilt erst recht, wenn als ein zentrales Ziel der Reform genannt wird, den Leistungszugang zu erleichtern.

Um gute Bedingungen für das Aufwachsen aller Kinder zu sichern, bedarf es einer sozialen Infrastruktur, die auch Familien in prekären Lebensbedingungen erreicht. Dazu muss sie niederschwellig sein und Eltern möglichst dort erreichen, wo sie ohnehin in Kontakt zum Bildungs- und Sozialsystem treten. Bei sozialpolitischen Prioritätenentscheidungen ist darauf zu achten, dass einkommenspolitische Ansätze und die Sicherstellung einer befähigenden Infrastruktur ausgewogen sind. Wenn der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg weiterhin so eng ist wie derzeit in Deutschland, wird auch die Kindergrundsicherung nicht nachhaltig zur Angleichung der Lebenschancen beitragen.

II. Zu den Regelungen im Einzelnen

1. Zu Art. 1 – § 4 Bundeskindergrundsicherungsgesetz – Entwurf (BKGG-E)
§ 4 BKGG-E beschreibt den Kreis der „Sonstigen Leistungsberechtigten“ für den Kinder- garantiebetrag, dessen Gewährung Voraussetzung ist, dass ergänzend ein Kinderzusatzbetrag gezahlt werden kann. Wir schließen uns der Forderung des Deutschen Caritasverbandes an, dass von der neuen Leistung alle ausländischen Kinder mit legalem, gestatteten oder geduldeten Aufenthalt profitieren können müssen. Mit der Einführung einer Kindergrundsicherung sollte wenigstens für Kinder die Abschaffung des nicht bedarfsdeckenden Sondersystems Asylbewerberleistungsgesetz erfolgen und an seiner Stelle Asylbewerberinnen und Asyl- bewerbern, Geduldeten und allen Besitzerinnen und Besitzern einer Aufenthaltserlaubnis für die Dauer ihres Aufenthalts in Deutschland das Existenzminimum gewährt werden.1

2. Zu Art. 1 – § 11 Bundeskindergrundsicherungsgesetz – Entwurf (BKGG-E)
Wir stellen uns die Frage, ob der künftige Kinderzusatzbetrag für die jüngeren Kinder niedriger ausfallen könnte als eine Leistung nach den geltenden Regelungen des Kinderzuschlages, wenn diese fortgeschrieben würden. Ein derartiges Ergebnis sollte vermieden werden.

§ 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 2 BKGG-E stellt bei der Berechnung der Höhe des Kinderzusatzbetrages auf die Regelbedarfe für Kinder nach der Anlage zu § 28 SGB XII ab. Hinzukommen gemäß § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BKGG-E die Anteile der Kinder für Wohn- und Heizkosten. Wie hoch diese Beträge 2025 sein werden, wird noch ermittelt. Insgesamt, also unter Berücksichtigung des Kindergarantiebetrages und des Bildungs- und Teilhabepakets von derzeit 29,50 € monatlich, erwartet die Bundesfamilienministerin laut Presseberichten eine monatliche Kindergrundsicherung für die Kinder der jüngsten Altersgruppe von 530 € monatlich ab dem 01.01.2025.

Für die Berechnung des geltenden Kinderzuschlages bestimmt § 6a Abs. 2 BKGG, dass der monatliche Höchstbetrag des Kinderzuschlages zusammen mit dem Kindergeld „ein Zwölftel des steuerfrei zu stellenden sächlichen Existenzminimums eines Kindes für das jeweilige Kalenderjahr mit Ausnahme des Anteils für Bildung und Teilhabe“ deckt. Der aktuelle 14. Existenzminimumbericht der Bundesregierung weist das sächliche Existenzminimum von Kindern nur bis zum Jahr 2024 aus. Im Jahr 2024 soll es sich auf 6.384 € belaufen. Abzüglich des in diesem Betrag enthaltenen Anteils für Bildung und Teilhabe in Höhe von 336 € ergibt sich ein für die Berechnung des Kinderzuschlages relevantes Existenzminimum von 6.048 €. Ein Zwölftel hiervon ergibt für das Jahr 504 €, die Kindergeld und Kinderzuschlag decken müssen. Hinzukommen noch die Leistungen nach dem Bildungs- und Teilhabepaket, so dass nach den Regelungen des Kinderzuschlags eine Gesamtleistung von 530 € monatlich bereits im Jahr 2024 erreicht wird.

Es ist davon auszugehen, dass das sächliche Existenzminimum für Kinder im Jahr 2025 höher liegen wird als im Jahr 2024. Es erscheint daher nicht unwahrscheinlich, dass zumindest für die Kinder der jüngsten Altersgruppe eine Fortschreibung der geltenden Regelungen des Kinderzuschlages eine höhere Transferleistung begründet hätte als die neue Kindergrundsicherung ihnen gewährt.

3. Zu Art. 1 – § 12 Bundeskindergrundsicherungsgesetz – Entwurf (BKGG-E)
§ 12 BKGG-E regelt in welchen Umfang Einkommen und Vermögen der Kinder beim Kinder- zusatzbetrag zu berücksichtigen ist. Grundsätzlich ist eine Anrechnung in Höhe von 45% des Einkommens und Vermögens in § 12 Abs. 1 S. 1 BKGG-E vorgesehen. Diese Anrechnungsquote entspricht der geltenden Anrechnungsquote beim Kinderzuschlag in § 6a Abs. 3 S. 3 BKGG. Für Einkommen aufgrund von Unterhaltsleistungen sieht § 12 Abs. 1 S. 2 BKGG-E allerdings eine weitergehende Staffelung vor. Ab Unterhaltsleistungen in Höhe von 500 € werden in drei Stufen höhere Anrechnungsquoten vorgesehen: 55% ab 500 €, 65% ab 750 €, 75% ab 1.000 €.

Die Einführung der Anrechnungsquoten bei Unterhaltsleistungen in Stufen kann zu einem erheblichen Anrechnungssprung führen. Bei Unterhaltsleistungen in Höhe von 499 € wären bei einer Anrechnungsquote von 45% 225 € auf den Kinderzusatzbetrag anzurechnen, bei einer Unterhaltsleistung von 500 € und einer Anrechnungsquote von 55% 275 €.

Es ist zwar nachvollziehbar, dass eine gezielte Besserstellung von Familien mit niedrigen Einkommen nur möglich ist, wenn die zur Verfügung stehenden Mittel möglichst zielgerichtet eingesetzt werden. Gleichwohl bitten wir um Prüfung, die Anrechnungsquote, zumindest moderater zu steigern oder erst dann mit einer höheren Anrechnungsquote einzusetzen, wenn Barunterhalt in Höhe von Kindergrundbetrag und Kinderzusatzbetrag der dritten Altersgruppe gewährt wird.

4. Zu Art. 1 – § 13 Bundeskindergrundsicherungsgesetz – Entwurf (BKGG-E)
§ 13 BKGG-E bestimmt, dass Einkommen oder Vermögen der Eltern, das den Gesamtbedarf der Eltern übersteigt, bei der Berechnung des Kinderzusatzbetrags zu berücksichtigen ist. Gemäß § 13 S. 2 BKGG-E sind Eltern im Sinne der Vorschrift alle Mitglieder der „Familiengemeinschaft“ mit Ausnahme der Kinder. In § 2 Abs. 1 BKGG-E wird bestimmt, dass zu einer Familiengemeinschaft im Sinne des Gesetzes auch alle Personen nach § 39 SGB XII gehören. Damit wird der Kreis der Personen, deren Einkommen und Vermögen bei der Berechnung des Kinderzusatzbetrages berücksichtigt wird, gegenüber dem Kreis der Personen, deren Einkommen oder Vermögen bisher bei der Berechnung des Kinderzuschlages nach § 6a Abs. 5 S. 2 BKGG zu berücksichtigen ist, erweitert. Bisher wurde nur auf die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft abgestellt. Zukünftig sind nach § 39 SGB XII Einkommen und Vermögen aller Mitglieder der Hausgemeinschaft zu beachten.

Wir regen an, weiterhin nur Einkommen oder Vermögen der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft zu berücksichtigen, um eine Verschlechterung zur geltenden Rechtslage zu vermeiden.

5. Zu Art. 1 – § 15 Bundeskindergrundsicherungsgesetz – Entwurf (BKGG-E)
§ 15 BKGG-E regelt die Minderung des Zusatzbeitrages wegen Einkommens oder Vermögens der Eltern. In § 15 Abs. 2 S. 1 BKGG-E wird bestimmt, dass die monatlichen Erwerbseinkünfte der Eltern zu 45% berücksichtigt werden, soweit sie den monatlichen Gesamtbedarf der Eltern übersteigen. Sie entspricht damit der geltenden Anrechnungsquote beim Kinderzuschlag. Wir schließen uns der Anregung des Familienbundes an, die Anrechnungsquote zu senken. Der Familienbund schlägt eine Anrechnungsquote von 30% vor. „Auf diese Weise bliebe auch die Aufnahme der Ausweitung von Erwerbsarbeit lohnenswert, dass durch die Kombination von (zusätzlichem) Erwerbseinkommen und Kindergrundsicherung für Familien ein deutlich spürbarer Zugewinn beim Haushaltseinkommen entstünde.“2 Auf diese Weise würden negative Arbeitsanreize verhindert werden. Denn das Ziel der Bekämpfung von Familienarmut würde konterkariert, wenn höhere Transferleistungen dazu führen würden, dass Eltern ihr Arbeitsangebot einschränken und damit ihr Markteinkommen reduzieren.

6. Zu Art. 1 – § 16 Bundeskindergrundsicherungsgesetz – Entwurf (BKGG-E)
§ 16 BKBB-E bestimmt, dass der Bewilligungszeitraum für den Kinderzusatzbetrag 6 Monate beträgt. Dies entspricht der bisherigen Regelung beim Kinderzuschlag. Dieser Bewilligungszeitraum wurde bereits beim Kinderzuschlag als zu kurz angesehen und galt neben der Komplexität der Regelung als Grund, warum die Leistung selten in Anspruch genommen wurde. Wir bitten um Prüfung, den Bezugszeitraum auf 12 Monate zu verlängern.

7. Zu Art. 2 – § 1 Unterhaltsvorschussgesetz – Entwurf (UhVorschG-E)
§ 1 Abs. 1a S. 1 Nr. 4 UhVorschG-E sieht vor, dass nach der Einschulung des Kindes ein Anspruch auf Unterhaltsvorschuss nur besteht, wenn das Elternteil, bei dem das Kind lebt, über Einkommen von mindestens 600 € monatlich verfügt. Nach dem geltenden UhVorschG ist für die Anspruchsberechtigung des alleinerziehenden Elternteils ein Erwerbseinkommen von 600 € erst ab der Vollendung des 12. Lebensjahres des Kindes gefordert. Laut der Begründung soll die Herabsetzung der Altersgrenze einen Anreiz für Alleinerziehende schaffen eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Wir regen an, auf die Änderung zu verzichten.

Der Schuleintritt des Kindes ist gerade ein Zeitpunkt der häufig einen eher größeren Betreuungsaufwand für das Kind notwendig macht. Bis zu diesem Zeitpunkt bestehende Betreuungsarrangements müssen verändert und das Kind in einer neuen Lebenssituation begleitet werden.

Zudem wurde in der Gesetzesbegründung zur Ausdehnung des Unterhaltsvorschussanspruchs im Jahr 2017 zutreffend darauf hingewiesen, dass bei Kindern bis zu 12 Jahren das Ziel überwiegt, „den Kindern Zugang zu den Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz und die gezielte und spezialisierte Unterstützung durch die Unterhaltsvorschussstellen zu ermöglichen“. „Bei dieser Gruppe erscheint die Unterstützung durch das Jugendamt in finanzieller Hinsicht und durch Vertretung weiterer Interessen des Kindes besonders wichtig.“3

8. Zu Art. 8 – § 10 Regelbedarfsermittlungsgesetz – Entwurf (RBEG – E)
§ 10 RBEG-E – E regelt die Aufteilung der Verbrauchsausgaben der Referenzgruppen der Familien- haushalte neu. Sie werden in § 10 Abs. 1 RBEG-E für drei Altersgruppen näher bestimmt. Für diese Änderung des Regelbedarfsermittlungsgesetzes liegt noch keine Begründung im Besonderen Teil der Begründung des Referentenentwurfs vor. Im Allgemeinen Teil der Begründung wird erläutert, dass für die Bemessung des Existenzminimums des Kindes weiterhin die Einkommens- und Verbraucherstichprobe (EVS) zugrunde gelegt wird. Um Kinderarmut zu bekämpfen sieht der Referentenentwurf vor, die „Verteilungsschlüssel, mit denen Teile der Haushaltsausgaben den Kindern zugesprochen werden, zu erneuern“.4 Wir halten die Veränderung des Verteilungsschlüssels nicht für ausreichend, um ein soziokulturelles Existenzminimum zu ermitteln, das Kinder in Familien mit niedrigen Einkommen besser absichert.

Das soziokulturelle Existenzminimum der Kinder wird derzeit im Rahmen des sog. „modifizierten Statistikmodells“ eigenständig errechnet und nicht mehr wie früher aus den Regelsätzen für Erwachsene abgeleitet. Dazu werden die Verbrauchsausgaben der unteren 20% der nach dem Nettoeinkommen geschichteten Paarhaushalte mit einem Kind der entsprechenden Altersgruppe herangezogen. Haushalte, welche ausschließlich ihren Lebensunterhalt durch Grundsicherungs- leistungen bestreiten, werden aus der Referenzgruppe herausgenommen. In der Referenzgruppe verbleiben somit Haushalte, die ergänzende Grundsicherungsleistungen beziehen („Aufstocker“), sowie Haushalte, die zwar einen Anspruch auf Grundsicherungsleistung hätten, diesen aber nicht geltend machen (sog. „verdeckt Arme“). Außerdem werden von den so ermittelten Ausgaben nicht regelbedarfsrelevante Konsumausgaben abgezogen und von den verbliebenen Kategorien teilweise nicht näher begründete Abschläge vorgenommen. Die Berechnung des soziokulturellen Existenzminimums erfolgt somit nicht in einem statistischen Automatismus, sondern unterliegt auch immer bestimmten normativen Setzungen. Über die Höhe der Regelbedarfe wird somit politisch entschieden, und diese Entscheidungen sind politisch zu verantworten.

Ein Problem der statistischen Fundierung der Regelbedarfe ist die Tatsache, dass bei der Erfassung der Ausgaben von Familien aufgrund der Bildung von Untergruppen die Fallzahl in einzelnen Ausgabekategorien äußerst gering ist. Die berechneten Mittelwerte der Konsumausgaben sind damit nicht oder nur bedingt aussagekräftig. Die empirische Grundlage der Regelbedarfs- berechnung sollte durch eine Ausweitung der Zahl der in der Einkommens- und Verbrauchs- stichprobe erfassten Familien verbessert werden. Zu beachten ist auch, dass der Regelbedarf genügend Flexibilität vorsieht, wenn Ausgabenmuster im Einzelfall abweichen.

Das Verfahren zur Bestimmung des soziokulturellen Existenzminimums („modifiziertes Statistikmodell“) ist im Grundsatz nicht zu beanstanden. Allerdings sollten die Abschläge bei den Konsumausgaben   transparent   gemacht   und   jeweils   eigenständig   begründet   werden.  Um „Zirkelschlüsse“ bei der Berechnung des soziokulturellen Existenzminimums zu vermeiden, sind die  „verdeckt  armen“  Haushalte bei der Ermittlung der  Regelbedarfe  aus der   Referenzgruppe auszuschließen. Aufgrund der inhärenten Schwächen des Statistikmodells bei der Berechnung der Regelbedarfe für Kinder sollte zusätzlich zu diesem Verfahren ein nach dem Warenkorbmodell bemessenes Existenzminimum als Vergleichsgröße herangezogen werden. Gleiches gilt für die Kinderwohnkosten und insbesondere für die Bildungs- und Teilhabeleistungen.

Berlin, den 7. September 2023

__________________________________

1 „Kinder vor Armut bewahren – Familienlastenausgleich umfassend gestalten!“ Eckpunkte des Deutschen Caritasverbandes für eine Kindergrundsicherung, 06.12.2022.

2 So ist etwa in Deutschland die Übertragung und Spende von Embryonen ausweislich des Willens des nationalen Gesetzgebers im Embryonenschutzgesetz nach aktueller Rechtslage weder als Gewebe gem. § 1a Nr.4 TPG noch als Gewebezubereitung gem. § 4 Abs.30 S.2 AMG zu qualifizieren und damit vom Anwendungsbereich sowohl des Transplantations- wie auch des Arzneimittelgesetzes ausgeschlossen (vgl. BT-Drs. 16/3146, S.23).

3 In Deutschland stellen sich etwa Kollisionsfragen unter Beachtung von Gendiagnostikgesetz, Embryonenschutzgesetz und PID-Verordnung weitreichende Fragen.

Stellungnahme
des Kommissariats der deutschen Bischöfe, Katholisches Büro in Berlin
zum

Referentenentwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Kindergrundsicherung und zur Änderung anderer Bestimmungen