Kernstück eines Gesetzes zur Stärkung der nationalen Suizidprävention wird nach seinem Referentenentwurf die Schaffung einer Nationalen Koordinierungsstelle sein, die beim BMG angesiedelt werden soll und die u.a. ein Konzept für eine zentrale Rufnummer für Menschen mit Suizidgedanken entwickeln soll. Wenngleich der Caritasverband dieses Ziel und auch die Koordinationsaufgaben zwischen Bund und Ländern, die die Koordinierungsstelle übernehmen soll, teilt, kritisiert er den Entwurf als bei weitem nicht ausreichend. So fehle es an einem Schutzkonzept zur Prävention des assistierten Suizids. Gänzlich vermisst würden überdies konkrete Regelungen zur Verbesserung der Palliativ- und Hospizversorgung.
Langversion
A. Allgemeine Vorbemerkungen
Der Deutsche Caritasverband und das Kommissariat der deutschen Bischöfe – Katholisches Büro in Berlin – begrüßen, dass mit dem vorliegenden Referentenentwurf nun endlich vom Bundesgesundheitsministerium ein Entwurf für eine gesetzliche Regelung zur Suizidprävention und eine Überführung wichtiger Themen aus der Nationalen Suizidpräventionsstrategie (NaSuPs) in ein Gesetz vorgelegt worden sind. Berücksichtigung finden sollten nach dem Willen der Abgeordneten aus dem Deutschen Bundestag auch Aspekte des nahezu einstimmig am 05.07.2023 beschlossenen Entschließungsantrags „Suizidprävention stärken“, der im Zusammenhang mit der Diskussion zur Regulierung der Suizidassistenz im letzten Jahr im Deutschen Bundestag debattiert worden ist. Mit dem vorliegenden Referentenentwurf wird ein allererster Schritt für eine Verbesserung der Suizidprävention in Deutschland gegangen, indem eine Nationale Koordinierungsstelle zur Suizidprävention aufgebaut und ein Modellvorhaben zu Maßnahmen der Suizidprävention durchgeführt werden soll. Der Vorschlag bleibt aber weit hinter den gesetzten Erwartungen zurück. Dies liegt auch – aber nicht nur – an den Finanzierungsvorbehalten im Rahmen verfügbarer Haushaltsmittel durch Bund und Länder.
Angesichts der Kürze der gewährten Stellungnahmefrist zu einer zuletzt auch ethisch anspruchsvollen Materie behalten wir uns eine weitere vertiefende Kommentierung ausdrücklich vor.
Wir begrüßen, dass – anders als bisher in der NaSuPS – die Hospiz- und Palliativversorgung als wichtiges Versorgungselement in der Prävention von Suiziden gesehen und in der Begründung auch die Zielgruppe hochaltriger und multimorbider Menschen in der letzten Lebensphase benannt werden; es fehlt aber aus Sicht des Deutschen Caritasverbands und des Katholischen Büros eine entsprechende gesetzliche Grundlage für den Ausbau der Kapazitäten in der Palliative Care, insbesondere in der stationären Altenhilfe. Auch der Entschließungsantrag 20/7630, den der Deutsche Bundestag im Juli 2023 mit großer Mehrheit beschlossen hat, hat die flächendeckende palliativmedizinische Versorgung in ambulanten und stationären Einrichtungen gefordert. Dieser Punkt zeigt paradigmatisch, dass der vorliegende Entwurf wirklich nur allererster Grundstein für eine effektive Suizidprävention darstellt, dem weitere Schritte folgen müssen.
Problematisch ist zudem mit Blick auf den Auf- und Ausbau eines adressatengerechten Hilfenetzwerks und Sicherstellung der Erreichbarkeit, dass die Finanzierungsverantwortung für bestehende niedrigschwellige Hilfen in der Suizidprävention, die es z. B. im Bereich der Online-Beratung, per Telefon oder Chat gibt, generell bei den Ländern gesehen wird. Viele dieser bundesweit und überregional tätigen niedrigschwelligen Hilfsangebote arbeiten derzeit nur auf der Grundlage von Spenden oder Projektförderungen und sind ohne eine adäquate regelhafte Finanzierung in 2025 in ihrem Bestand gefährdet. Deshalb muss hier dringend die Refinanzierung geklärt werden, damit wichtige bestehende Infrastruktur nicht verloren geht und mühsam aufgebaute Personalkapazitäten insbesondere auch im Ehrenamt erhalten bleiben. Der Deutsche Caritasverband und das Katholische Büro begrüßen, dass es jüngst gelungen ist, die zum Ende des Jahres 2024 auslaufende Förderung des Projektes [U25] für die Jahre 2025-2027 (aus dem KJP) sicherzustellen. Gemeinsam werden wir uns weiterhin mit ganzer Kraft für eine Verstetigung dieses erfolgreichen Präventionsprojektes für suizidgefährdete Kinder und Jugendliche einsetzen – solche Erfolgsprojekte gilt es in ihrem dauerhaften Bestand nicht durch alternative / neue Strukturen zu gefährden.
Begrüßt wird außerdem, dass die Prävention von assistierten Suiziden auch als eine Aufgabe der Suizidprävention gesehen wird und assistierte Suizide als eine besondere Form des Suizids mit Unterstützung Dritter bei der Erfassung von Suizidversuchen und Suiziden in der Statistik der Todesursachen, in die Reform der Todesbescheinigungen und im Suizidregister, sowie als Thema in der Forschung hinsichtlich Ursachen, Einflussfaktoren und gefährdeter Risikogruppen und in den Bericht der Koordinierungsstelle aufgenommen wurden. Allerdings bedarf es einer stärkeren Betonung des legislativen Schutzcharakters der Suizidprävention durch Klarstellungen bei der Beschreibung des Anwendungsbereichs und der Begriffsdefinitionen in § 1 Abs. 2 und § 2 Abs. 2 in Anlehnung an die Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts an das Vorliegen eines freiverantwortlichen und dauerhaften Sterbewillens. Auch sollte die suizidpräventive Wirkung der Regulierung der Suizidassistenz durch eine entsprechende Klarstellung in § 9 Nr. 7 deutlicher hervorgehoben werden.
Nachfolgend nehmen wir, wie folgt, im Detail zum Referentenentwurf Stellung.
B. Zum Referentenentwurf im Einzelnen
Artikel 1: Gesetz zur Prävention von Suizidversuchen und Suiziden (SuizidPrävG)
§ 1 Ziel des Gesetzes: Anwendungsbereich i.V. mit § 2 Begriffsbestimmungen
§ 1 und § 2 werden wegen ihres Gesamtzusammenhangs nachfolgend gemeinsam kommentiert. Die Caritas und das Katholische Büro begrüßen, dass der Referentenentwurf nicht nur Menschen mit Suizidgedanken, sondern auch explizit Menschen, die mittels eines assistierten Suizids aus dem Leben gehen wollen, von den Maßnahmen der Suizidprävention erfassen will. Wir bedauern, dass es trotz intensiver Debatten im Deutschen Bundestag im Jahr 2023 und seither nicht gelungen ist, das Angebot von Suizidassistenz zum Zwecke der Selbsttötung zu regulieren. Entsprechende Bemühungen müssen unverzüglich in der kommenden Legislaturperiode wieder Fahrt aufnehmen. Die Entwurfsverfasser führen neben der Definition von Suizidprävention und Suizidalität in § 2 Abs. 2 eine neue Definition des Sterbewilligen ein. Hier besteht eine inhaltliche Verknüpfung mit der noch ausstehenden Regulierung der Suizidassistenz. Bei der konkreten gesetzlichen Ausgestaltung kommt – ebenso wie bei den allgemeinen Maßnahmen der Suizidprävention – dem Schutz von vulnerablen Personengruppen, einschließlich älter werdender Menschen mit Suizidgedanken, eine besondere Bedeutung zu. Es gilt, in der nächsten Legislaturperiode ein qualitativ anspruchsvolles und umfassendes, aufeinander abgestimmtes legislatives Schutzkonzept zu entwickeln, das eine Kultur der Lebensbejahung und Fürsorge stärkt, die assistierten und nicht assistierten Suiziden präventiv vorbeugt. Das BVerfG benennt in seinem Urteil zu Recht die Gefahr, dass sich Sterbe- und Suizidhilfe zu normalen Formen der Lebensbeendigung in einer Gesellschaft entwickeln könnten und dass verhindert werden muss, dass durch die Konfrontation mit Angeboten der Suizidassistenz soziale Pressionen entstehen, sein Leben auf diese Weise beenden zu sollen. Soziale Erwartungen können – auch angesichts steigenden Kostendrucks in den Pflege- und Gesundheitssystemen – die Freiheit, weiter leben zu wollen, und die Selbstbestimmung einschränken und Suizidentschlüsse fördern. Insgesamt kommt dieser notwendige Schutzgedanke bei den zur Diskussion gestellten Überlegungen des Bundesgesundheitsministeriums zur Suizidprävention in § 1 Absatz 2 und der Definition des Sterbewilligen nach § 2 Abs. 2 nicht ausreichend zum Tragen. Zur Vermeidung von möglichen Fehlvorstellung und Sicherstellung einer einheitlichen Rechtsanwendung sollten in beiden Vorschriften jedenfalls einheitlich anstelle von „freiem Willen“ und „fester Entscheidung“ in § 1 Abs. 2 S. 1 und S. 2 sowie § 2 Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 und S. 2 in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die üblichen juristischen Begriffe der Freiverantwortlichkeit und Dauerhaftigkeit des Sterbewillens verwendet werden. § 2 Abs. 2 S. 3 sind zu streichen.
Nach ständiger Rechtsprechung setzt die Freiverantwortlichkeit neben der Fähigkeit, seinen Willen frei und unbeeinflusst von einer akuten psychischen Störung zu bilden und nach dieser Einsicht handeln zu können, weitere Tatbestandsmerkmale voraus: Kenntnis von Handlungsalternativen zum Suizid, Bewertung der Folgen des eigenen Tuns, keine unzulässige Einflussnahme oder Druckausübung durch Dritte sowie eine gewisse Dauerhaftigkeit und innere Festigkeit des Entschlusses, aus dem Leben zu scheiden (vgl. BVerfG v. 26.02.2020 Rn. 240-244). Diese Voraussetzungen sind wichtig sowohl für die Bewertung des Suizids mit Hilfe Dritter als auch für die Bestimmung des Umfangs staatlicher Schutzpflichten im Rahmen der Suizidprävention. Eine gewissenhafte Feststellung der Freiverantwortlichkeit hat suizidpräventive Wirkung. Sie ist auch maßgeblich für die Abgrenzung zwischen straflosem und strafbarem Verhalten bei der Mitwirkung Dritter beim Suizid (z. B. Tötung in mittelbarer Täterschaft bzw. unterlassene Hilfeleistung nach § 323c StGB; vgl. hierzu auch Ausführungen unten zu § 5). Die Entwurfsverfasser verwenden in der Begründung selbst den Begriff der Freiverantwortlichkeit, allerdings nicht durchgängig und nur vereinzelt (vgl. z. B. S. 51 unten). Auffallend ist, dass die Begründung zur Definition in § 2 sehr kurz ist, eine ausdrückliche Bezugnahme auf die im Gegensatz zu den in § 2 Abs. 2 genannten erhöhten inhaltlichen Anforderungen des Sterbewillens durch das Bundesverfassungsgericht fehlt (vgl. S. 52 oben). Eine solche Klarstellung und Verwendung des üblichen juristischen Begriffs der Freiverantwortlichkeit im Gesetzestext erscheint aber geboten, um den notwendigen Gleichlauf zwischen einem künftigen Suizidpräventionsgesetz mit der ebenfalls noch ausstehenden Regulierung der Suizidassistenz in der nächsten Legislaturperiode anstehenden Diskussion sicherstellen zu können. Auch der Deutsche Ethikrat geht von erhöhten Anforderungen an das Vorliegen eines „freien und festen Willen“ aus, die über den exemplarisch genannten und überdies von uns kritisch bewerteten negativen Ausschluss der in § 2 Abs. 2 S. 3 psychischen Störungen gem. §§ 104, 105 und § 2229 Abs. 4 BGB hinausgehen. Ohne die einheitliche Bezugnahme auf den Begriff der Freiverantwortlichkeit und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowohl im Gesetzestext von §§ 1 und 2 wie der Begründung zu § 2 besteht aber die Gefahr, dass die noch ausstehende, vom Gesetzgeber in der nächsten Legislaturperiode zu treffende Entscheidung zur Regulierung der Suizidassistenz faktisch im Sinne eines niedrig angesetzten, vom Staat zu gewährleistenden Schutzniveaus für das Leben vorweggenommen werden könnte.
Positiv zu bewerten ist, dass in § 2 Abs. 5 konkret die Krisendienste als Akteure benannt und definiert werden. Sie sind jedoch auch konkret im Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 zu benennen, der im Bereich der Länder nur Behörden erfasst, jedoch nicht die Krisendienste als Angebot der Länder. Die Krisendienste sind daher konkret in § 1 Abs. 1 S. 3 aufzunehmen. Es ist klarzustellen, dass unter Krisendiensten der anderen Akteure der Suizidprävention i.S. der Definition des § 2 Abs. 5 auch alle niedrigschwelligen psycho-sozialen Krisendienste einschließlich Online-Krisendiensten wie [U25] und MANO erfasst werden.
§ 3 Suizidprävention durch Information und Aufklärung
Geteilt wird, dass Information und Aufklärung über Suizidalität und Suizidprävention eine öffentliche Aufgabe ist und insbesondere, dass den Ländern hierbei nach S. 3 Nr. 1 eine Funktion über die Information über die lokalen und regionalen Krisendienste zukommt. Krisendienste sind Länderaufgabe. Grundsätzlich sind solche Informationen barrierefrei und in leichter Sprache zur Verfügung zu stellen; dies ist zu ergänzen und gilt grundsätzlich für die Bereitstellung sämtlicher Informations- und Aufklärungspflichten. Bislang haben jedoch nur die Länder Bayern und Berlin Krisendienste eingerichtet. Die Caritas und das Katholische Büro fordern die übrigen Bundesländer mit Nachdruck auf, ihrerseits Krisendienste zu errichten. Dies ist jedoch auf Landesebene und nicht in § 3 zu regeln. Informationen über Leistungen der Hospiz- und Palliativversorgung (S. 3 Nr. 2) sind hingegen schon seit dem Hospiz- und Palliativgesetz 2015 gemäß § 39b SGB V Aufgabe der Krankenkassen. Auch die in S. 3 Nr. 3 erwähnten Leistungen und Zugangswege der psychiatrisch-psychotherapeutischen Versorgung liegt im Aufgabenbereich der GKV und ist z. B. in der GBA-Richtlinie nach § 92 Absatz 6b SGB V (KSVPsych-RL) näher geregelt.
Suizidgefährdete Menschen müssen schnell und bedarfsgerecht unterstützt bzw. behandelt werden. Entsprechende Unterstützungs- und Versorgungsangebote im lokalen Umfeld sind wesentliche Voraussetzungen erfolgreicher Suizidprävention. Die aktuelle Verteilung niedergelassener Psychotherapeut_innen mit Kassensitz ist nicht ausreichend, um eine effiziente Versorgung von suizidalen Menschen mit psychischen Problemen und in akuten psychischen Krisen sicherzustellen. Wartefristen von 6-8 Monaten auf einen Therapieplatz sind zu lang. Es braucht daher dringend einen Ausbau und eine zielgenauere Verteilung der niedergelassenen Vertragspsychotherapeut_innen im Rahmen einer Bedarfsplanung und einer gesonderten Bedarfsplanung für die Kinder- und Jugendpsychotherapie, wie im nicht verabschiedeten GVSG vorgesehen, um diesem Defizit entgegenwirken zu können.
Um der föderalen Zuständigkeit Rechnung zu tragen, sollte die Suizidprävention in bestehende Organisations-/Koordinationsstruktur der Länder eingebettet werden (z. B. in die Psychiatriekoordination der Länder, Sucht- bzw. Drogenkoordination, Sozialpsychiatrische Dienste, etc.). Dies kann jedoch nicht auf Bundesebene geregelt werden. Bundesgesetzlich zu regeln wäre jedoch, dass die aktuellen Maßnahmen zur Umsetzung auf Länderebene in einem jährlichen Suizidbericht der Koordinierungsstelle beschrieben werden. Diese Aufgabe ist ebenso konkret in § 9 zu verankern.
Es reicht auch nicht aus, Information und Aufklärung ganz allgemein gesetzlich zu verankern, wie in § 3 vorgesehen. Vielmehr braucht es konkret Informations- und Aufklärungskampagnen in Bund, Ländern und Kommunen mit dem Ziel, die hospizlich-palliativen Möglichkeiten besser bekannt und breiteren Gesellschaftsschichten zugänglich zu machen. Ebenso muss es darum gehen, diese Themen in unserer Gesellschaft zu enttabuisieren (positiv zu bewerten dazu § 1 Abs. 1) und einen offenen und ehrlichen Umgang mit Sterbewünschen zu ermöglichen. Für den Bund böte sich hierfür z. B. die Beauftragung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) an. Mit einer entsprechenden Kampagne zum Thema Sterben und Sterbebegleitung und zu den Möglichkeiten der Hospiz- und Palliativversorgung, einer Aufklärung zu Patientenrechten und zu den Möglichkeiten von Vorausverfügungen könnte sie dabei helfen, das Thema Sterben aus dem Tabubereich in die Mitte der Gesellschaft zu führen und dabei helfen, Menschen die Angst vor dem Sterben zu nehmen. Auch diese Aufgabe des Bundes ist in § 9 konkret zu verankern. Begrüßt wird in diesem Zusammenhang, dass §§ 16 und 17 die Möglichkeit einer Übertragung von Aufgaben auf geeignete Behörden im nachgeordneten Geschäftsbereich, wie z. B. der BZgA, des BMG vorsehen.
Eine suffiziente Öffentlichkeitsarbeit umfasst allerdings mehr als eine Website: notwendig sind diversere, zielgruppenorientierte Zugänge (Social Media, Printmedien, TV-Medien etc.), Anti-Stigmaarbeit/Awarenessarbeit über Kampagnen, die Gestaltung öffentlicher Events wie z.B. am Welttag der Suizidprävention; eine Bekanntmachung der Website selbst, z.B. durch Kampagnen, der Austausch mit regionalen Hilfsangeboten, nationale und regionale Pressearbeit, sowie die Einbeziehung von Kulturangeboten. Dies müsste auch bei der Finanzierung berücksichtigt werden.
Da § 3 S. 3 Nr. 1 die Länderebene betrifft und die Nummern 2 und 3 zum Aufgabenkatalog der Nationalen Koordinierungsstelle nach § 9 gehören sollten, ergibt sich aus unserer Sicht kein gesonderter Regelungsbedarf in einem § 3.
§ 4 Krisendienste
Krisendienste sind Ländersache. Begrüßt wird die Intention, dass Zugang und Kontaktaufnahme barrierefrei, anonym und vertraulich möglich sein müssen; darauf muss es einen Rechtsanspruch geben, die Sicherstellung eines barrierefreien Zugangs „nach Bedarf“ ist nicht hinnehmbar. Grundsätzlich sollte auch dieser Punkt im Aufgabenkatalog der Nationalen Koordinierungsstelle nach § 9 geregelt werden. Sollte § 4 beibehalten werden, ist dort nicht nur der Zugang von Menschen mit Suizidgedanken (und Sterbewilligen) zu Krisendiensten zu regeln, sondern auch der Zugang zu einer guten Hospiz- und Palliativversorgung, insbesondere in der stationären Altenhilfe.
§ 5 Kenntnis einer Suizidgefahr durch bestimmte Geheimnisträger
Noch völlig unausgegoren erscheint bei erster Durchsicht die Regelung des § 5. Zwar wird die grundsätzliche Intention der Entwurfsverfasser geteilt, Personen, die aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit und Vertrauensbeziehung typischerweise mit suizidgefährdeten Risikogruppen in Kontakt sind oder kommen, diese an ihre besondere Informations- und Unterstützungsverantwortung zu erinnern und zielgerichtet in das aufzubauende Suizidpräventionsnetzwerk einzubeziehen. Das gilt für die benannten Personen gleichsam wie für die einschlägigen Träger und Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens. Aktuell wirft die Vorschrift aber mehr Fragen auf, als dass sie diese im Sinne der Suizidprävention löst. Fraglich ist, ob es einer solchen Vorschrift überhaupt bedarf.
Sofern Träger von zum persönlichen Lebensbereich gehörenden Geheimnissen belastbare Anhaltspunkte für Suizidgefahren erhalten, sollen diese künftig über die ihnen bekannten Informations-, Hilfs- und Unterstützungsangebote informieren. Die Vorschrift ist § 4 KKG nachgebildet, der unter bestimmten Voraussetzungen die in § 203 StGB benannten Geheimnisträger befugt, in einem abgestuften Verfahren durch Beratung und ggf. Weitergabe von Informationen Gefahren für das Kindeswohl abzuwenden. Es gibt aber viele Unterschiede zwischen § 4 KKG und § 5, so dass eine Übertragbarkeit an vielen Stellen nicht passt. Zudem gehört die Wahrung des Wohls von Patient_innen, Schülerinnen und Schülern sowie Klient_innen ohnehin bereits zu den zentralen Aufgaben aller in § 5 genannter Berufsgruppen und ist bereits berufsrechtlich geregelt. Der Bundesgesetzgeber steht dabei (wie bei der umstrittenen Regelung des § 4 KKG) vor dem Zuständigkeitsproblem, dass die Angelegenheiten der Berufsgruppen nicht von ihm selbst geregelt werden können, da sie landesrechtlichem Berufsrecht oder berufsständischer Regelungskompetenz unterliegen. Die hier getroffene Regelung wirft darüber hinaus zahlreiche Fragen auf: Was ist unter „gewichtigen Anhaltspunkten“ zu verstehen? Es sollte immer, wenn Anhaltspunkte auf eine Suizidalität vorliegen, darauf reagiert werden. Das Gesetz präzisiert nicht, wie – verpflichtend und im Zweifel sanktionsbewährt – mit geäußerten Zweifeln, mit länger andauernden negativen Stimmungsschwankungen umgegangen werden soll oder wie akut die Suizidgefahr eingeschätzt wird. Der Norm mangelt es an der notwendigen Bestimmtheit. Die Normadressaten der aufgelisteten Berufsgruppen können ihr Verhalten nicht hinreichend sicher gesetzeskonform ausrichten. Wann die Schwelle zur Hinweispflicht und (eigener) sowie ggf. weiterer verpflichtender Beratung erreicht ist, ist nicht ausreichend präzisiert. Auch stellt sich die Frage nach dem geschützten Rechtsgut. Besteht die Pflicht gegenüber dem (möglichen) Suizidenten, dem Berufsstand oder gegenüber der Allgemeinheit? Welche Auswirkungen hat die neue Informations- und Handlungspflicht auf das Verhältnis zwischen Vertrauensperson und Arbeit- bzw. Dienstgeber, wenn diese angestellt ist? Zudem könnten sich Berufsangehörige der im § 5 genannten Berufsgruppen im Zweifel exkulpieren, indem sie sich auf mangelnde Kenntnis der Informations-, Hilfs-, und Beratungsangebote des Bundes, der Länder oder weiterer Akteure berufen. Und selbst dann, wenn (im Ausnahmefall) eine Pflichtverletzung angenommen würde: Offengelassen von den Entwurfsverfassern ist die entscheidende Frage, ob und wenn ja welche Rechtsfolgen ein Verstoß gegen eine solche neue Informations- und Unterstützungspflicht haben soll und wann die Unterstützungsplichten von Personen und Einrichtungen enden. Für die Begründung einer im Zweifel sogar strafrechtsrelevanten Garantenpflicht ist die Vorschrift jedenfalls nicht hinreichend bestimmt formuliert. Soll es sich aber – wie es zu vermuten ist – lediglich um eine Vorschrift mit einer klarstellenden Appelfunktion in Richtung (ethisch-moralischer) Verantwortungsübernahme im Bereich der Suizidprävention handeln, dann bedarf es in jedem Fall zur Vermeidung von möglichen Missverständnissen ebenfalls eines entsprechenden Hinweises. Die Ausführungen in der Begründung auf den Seiten 54/55 werfen jedenfalls aber auch diesbezüglich Fragen auf und führen zur Unsicherheit. Zweifelhaft ist aber, ob es einer solchen Vorschrift, dass Menschen mit Suizidgedanken geeignete Beratungs- und Informationsangebote unterbreitet werden sollen, überhaupt bedarf. Sie erscheint entbehrlich, denn sie entspricht schon jetzt zumindest dem Berufsethos oder ist sogar mit Blick auf den jeweiligen konkreten Berufsstand in den berufsrechtlichen Vorschriften geregelt. Durch die angestrebte Regelung würde eine Entlastung der Berufsgruppen nicht erreicht. Es sollte jedenfalls der Eindruck vermieden werden, dass der Staat sich durch eine solche Regelung seiner eigenen Verantwortung auf der Metaebene im Einsatz für die Suizidprävention einseitig entlasten will. Denn der neuen Pflicht stehen leider im Gegenzug keine verpflichtenden Zusagen des Staates zur Unterstützung der Berufsträger und Träger bei der praktischen Umsetzung der notwendigen Suizidpräventionsaufgaben in den unterschiedlichen Bereichen gegenüber. Für die Umsetzung von Suizidprävention vor Ort braucht es aber Zeit, Know-how und Geld. Auch stellt sich die Frage, wer die notwendigen Schulungs- und Weiterbildungsprogramme für die genannten Personen und Geheimnisträger finanzieren soll. Die Aufgabe des Staates und der Allgemeinheit im Bereich der Suizidprävention erschöpft sich nicht in der Errichtung einer Koordinierungsstelle auf Bundeseben und der Information nach § 3.
§ 6 Netzwerkstrukturen in der Suizidprävention und Zusammenarbeit in den Ländern
Es ist unstrittig, dass die Suizidprävention eine interdisziplinäre Zusammenarbeit und koordinierte regionale und lokale Netzwerkstruktur erfordert. Für deren Aufbau hat jedoch der Bund keine Gesetzgebungskompetenz. Er kann aber in Zusammenarbeit mit den Ländern einen solchen Aufbau fördern. Dies ist eine konkrete Aufgabe, die auch in § 9 Nummer 3 beschrieben wird und deren Regelung vom Deutschen Caritasverband und dem Katholischen Büro nachdrücklich unterstützt wird. Zu Recht weist die Begründung (S. 56) darauf hin, dass der Bund die Länder nicht zum Aufbau und zur Koordination von Netzwerkstrukturen verpflichten kann. Umso mehr erstaunt, dass der Referentenentwurf in § 6 genau dieses regeln möchte. Allerdings passen 417 einzelne Netzwerke nicht zur Struktur der Hilfesysteme und nicht zu bestehenden Netzwerken. Alle Landkreise und kreisfreien Städte sollten in einem Netzwerk eingebunden sein, sich aber zu in (über) regionalen Netzwerken zusammenschließen und die bisher geplanten 76 Stunden pro Behörde für Netzwerkarbeit bündeln und für weitere Optionen der Netzwerkarbeit (s. o.) nutzen, um das Potenzial von Netzwerkarbeit stärker auszuschöpfen.
§ 7 Zusammenarbeit zur Suizidprävention mit den Ländern
Ausweislich der Begründung soll mit § 7 eine Generalklausel eingeführt werden, wonach der Bund mit den Ländern zu weiteren, nicht in Abschnitt 2 und 3 dieses Gesetzes genannten Maßnahmen, zusammenwirken kann, um Vereinbarungen zur Suizidprävention zu treffen. Diese Konkretion findet sich jedoch im Gesetzestext nicht wieder. Zudem fehlt es der Regelung am Bestimmtheitsgrad. Wie die Erfahrungen aus Bayern und Berlin zeigen, sind Koordinierungsstellen auf Landesebene notwendig und sinnvoll, um Doppelstrukturen in jedem Landkreis zu vermeiden und um Kompetenzen und Zeit zu bündeln. Nur wenn es solche Strukturen auf Länderebene gibt, kann auch sinnvoll auf der Bundesebene zusammengearbeitet werden, sei es auf Ebene des BMG oder einer wie auch immer gearteten Bundesbehörde (z. B. Koordinierungsstelle) oder nachgeordneten Behörde (z. B. BzGA).
§ 8 Errichtung einer Nationalen Koordinierungsstelle zur Suizidprävention
Der Deutsche Caritasverband und das Katholische Büro begrüßen die Errichtung einer Nationalen Koordinierungsstelle zur Suizidprävention nachdrücklich. Sie ist das Kernstück dieses Gesetzentwurfs. Kritisch gesehen wird jedoch, dass die Koordinierungsstelle als Behörde des BMG ausgestaltet werden soll. Für die Aufgaben der Koordinierung, Vernetzung, Information und Aufklärung sollte vielmehr auf die Expertise der einschlägigen Akteure im Bereich der Suizidprävention, wie der NaSPro, DGS und der Telefonseelsorge Deutschland und damit auf bestehende Strukturen aufgebaut werden.
§ 9 Aufgaben
Die in § 9 beschriebenen Aufgaben setzen viele, jedoch nicht alle Forderungen um, die im am 5. Juli 2023 verabschiedeten Entschließungsantrag und Auftrag für ein Gesetz zur Suizidprävention erhoben wurden. Zudem ist zu bemängeln, dass die Aufgaben der Koordinierungsstelle grundsätzlich unter Finanzvorbehalt gestellt werden. Bei der Umsetzung ist Sorge zu tragen, dass für die gesetzlich verankerten Aufgaben ein auskömmlicher Haushaltsansatz zur Verfügung gestellt wird.
Zu den Aufgaben im Einzelnen:
Nr. 1: Entwicklung und Veröffentlichung allgemeiner und zielgruppenspezifischer Informationen zum Thema Suizidprävention
Die Maßnahme wird unterstützt, ist jedoch zu konkretisieren: Die Koordinierungsstelle sollte beauftragt werden, allgemeine und zielgruppenspezifische (z. B. in Bezug auf die besonders suizidgefährdete Gruppe von Kindern und Jugendlichen) Informations- und Aufklärungskampagnen durchzuführen (s. Kommentierung zu § 3). Dies fordert auch der Entschließungsantrag 20/7630 (Punkt 3). Zentrales Anliegen der Suizidprävention muss es sein, das Wissen über Suizidalität durch Information und Aufklärung in der Bevölkerung zu verbessern und eine diskursive Auseinandersetzung mit den Themen Sterben, Tod und Suizid zu fördern. Auch Projekte, die dies schon umsetzen (bspw. das Schulsuizidpräventionsprojekt der Caritas [AUSWEG]los) müssen bedarfsgerecht, ausgebaut und langfristig gefördert werden.
Nr. 2: Vernetzung der bestehenden Informations-, Hilfs- und Beratungsangebote des Bundes, der Länder und der weiteren Akteure im Bereich der Suizidprävention
Dieses Ziel wird uneingeschränkt begrüßt. Es steht in engem Zusammenhang mit Nr. 3. Es sollte überlegt werden, diese Aufgabe mit der Aufgabe nach Nr. 3 zusammenzuführen.
Nr. 3: Förderung und Koordination der Zusammenarbeit der Länder und der weiteren Akteure der Suizidprävention einschließlich der fachlichen Unterstützung beim Aufbau und der Weiterentwicklung der Netzwerke sowie beim Aufbau oder der Aufrechterhaltung der Krisendienste
Das Ziel wird nachdrücklich als Kernaufgabe der Nationalen Koordinierungsstelle begrüßt. Auch die Zusammenarbeit mit dem Bund und Akteuren auf Bundesebene, wie z. B. den Kranken- oder Pflegekassen sollte gefördert werden. Von großer Bedeutung ist der Aufbau und die Weiterentwicklung der Angebote der Suizidprävention. Zu ergänzen ist, dass die Angebote zielgruppenspezifisch ausgestaltet werden müssen; dabei soll die Koordinierungsstelle fachlich unterstützen. So sollen für den Fall, dass das soziale Umfeld nicht in der Lage ist, die Betroffenen ausreichend zu unterstützen, Kriseninterventionsdienste und therapeutische Wohngemeinschaften gerade im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe bereitgehalten werden. Selbsthilfeangebote müssen unterstützt und Spezialprogramme mit proaktiven, aufsuchenden Angeboten für „systemferne“ / schwer erreichbare Zielgruppen (z. B. vereinsamte junge und alte Menschen, chronisch kranke Menschen, Menschen mit multiplen Problemlagen, Menschen in Notquartieren etc.) gefördert werden. Zielgruppenspezifische Suizidpräventionsangebote wie [U25] und MANO müssen auf eine verlässliche gesetzliche Grundlage gestellt werden.
Nr. 4: Fachliche Unterstützung der Länder und der weiteren Suizidpräventionsakteure bei der Weiterentwicklung der Informations-, Hilfs- und Beratungsangebote einschl. der Ausweitung auf weitere Zielgruppen
Auch dieses Ziel wird unterstützt. Es wird vorgeschlagen, diese Aufgabe gezielt um Maßnahmen zur Vorbeugung von Einsamkeit zu ergänzen. So sollte die Koordinierungsstelle altersspezifische Konzepte gegen Einsamkeit entwickeln. Einsamkeit stellt einen erheblichen Risikofaktor für die Gesundheit dar und erhöht das Risiko für chronischen Stress, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Depressionen, Demenz, eine verkürzte Lebenserwartung und auch Suizid. Dies kann bspw. durch die (Weiter-)Entwicklung neuer Wohnkonzepte im Sozialraum für Menschen, die von sozialer Isolation bedroht sind, geschehen (z. B. Mehrgenerationen-Häuser, Alters-Wohngemeinschaften), durch Besuchsdienste, Integrationsinitiativen, aufsuchende multiprofessionelle Teams in Zusammenarbeit mit psychosozialem Personal, ehrenamtliche Besuchsdienste (auch in Alten-/Pflegeheimen), die (Weiter-)Entwicklung/Unterstützung von zielgruppenspezifischen „Freizeiträumen“ und Kommunikationsangeboten (Jugendzentren, Per-Telefon-/Chat-/Maildienste für alte Menschen, Schulungen für alte Menschen in der Nutzung neuer Medien) etc.
Nr. 5: Aufbau eines digitalen Verzeichnisses mit den bundesweiten und überregionalen Informations-, Hilfs- und Beratungsangeboten und barrierefreier Veröffentlichung im Internet, einschließlich laufender Aktualisierung
Der Aufbau eines digitalen Verzeichnisses von Informations-, Hilfs- und Unterstützungs- sowie Beratungsangeboten zur Suizidprävention, das fortwährend aktualisiert wird und im Internet barrierefrei und in leichter Sprache zur Verfügung steht, ist sehr zu begrüßen. An dieser Stelle sei pars pro toto angemerkt, dass anstelle des Begriffs „in leicht verständlicher Sprache“ in diesem Gesetzentwurf durchgängig der Begriff „leichte Sprache“ zu verwenden ist. Es ist sicherzustellen, dass alle Informationen und Aufklärungen sowie Leistungen barrierefrei und in leichter Sprache zur Verfügung gestellt werden müssen.
Damit Menschen, die sich mit Suizidgedanken tragen, jedoch wirksam geholfen werden kann, reicht es nicht aus, bundesweite und überregionale Angebote zu verzeichnen, sondern es bedarf vor allem der Information über die lokal und regional zur Verfügung stehenden Angebote, damit Menschen in Krisen- und Notsituationen einschließlich ihrer An- und Zugehörigen wissen, an wen sie sich wenden können. Neben den bundesweit erreichbaren Angeboten, wie z. B. der Telefonseelsorge, sind hier unbedingt auch die zahlreichen lokalen und regionalen Angebote zu ergänzen. Für das Auffinden sollte eine Suchfunktion nach Postleitzahl bereitgestellt werden.
Nr. 6: Unterstützung der Länder und der weiteren Akteure, insbesondere bei der Qualitätssicherung der Krisendienste
Dieses Ziel einschließlich der Entwicklung von fachlichen Arbeitshilfen wird begrüßt. Diese Aufgabe könnte mit der Aufgabe nach Nr. 3, die ebenfalls die Krisendienste spezifisch in den Blick nimmt, zusammengeführt werden, da Qualitätsentwicklung und -sicherung eine fachlich-konzeptionelle Aufgabe darstellt.
Nr. 7: Maßnahmen der Restriktion von Suizidmitteln und -methoden als Aufgabe der Koordinierungsstelle in Zusammenarbeit mit den Ländern
Forschungsergebnisse zeigen – wie auch in der Gesetzesbegründung ausgeführt –, dass eine Begrenzung des Zugangs zu Suizidmitteln und -orten der Methodenrestriktion dient. Mit der durch das Bundesverfassungsgericht 2020 eröffneten Möglichkeit, Suizidassistenz in Deutschland in Anspruch zu nehmen, wurde auch ein neuer zusätzlicher Zugang zu einem Suizidmittel eröffnet. Die Regulierung der Suizidassistenz ist eine Methode der Suizidprävention und hat somit ebenfalls suizidpräventive Wirkung. Es müssen daher insbesondere auch hier Maßnahmen zum Schutz vulnerabler Personengruppen ergriffen werden, die dazu geeignet sind, einer Normalisierung und ungewollten Ausweitung dieser Methode des assistierten Suizids entgegenzuwirken. Aus Sicht des Deutschen Caritasverband und des Katholischen Büros ist deshalb zum Schutz vulnerabler Gruppen (d. h. suizidgefährdeter Risikogruppen) und zum Schutz vor Nachahmungseffekten in Gemeinschaftseinrichtungen, in denen diese leben (vgl. Werther-Effekt), die Etablierung eines umfassenden Schutzkonzepts auf legislativer Ebene geboten. Nach Auffassung des Deutschen Caritasverbandes und des Katholischen Büros sollen alle Institutionen des Gesundheits- und Sozialwesens Lebensräume bleiben, in denen keinerlei Druck in Richtung eines assistierten Suizids ausgeübt wird. Dies kann beispielsweise durch die Einschränkung der Werbung zum assistierten Suizid in diesen Institutionen sowie durch Regelungen für den Zugang von Sterbehilfeorganisationen zu bestimmten Orten, wie beispielsweise Einrichtungen der Psychiatrie, Einrichtungen des Justizvollzugs, der Jugendhilfe und der Langzeitpflege, gewährleistet werden.
Nr. 8: Entwicklung eines Konzepts zum Aufbau und Betrieb einer bundesweiten Rufnummer 113 und zum Ausbau telefonischer und von Online-Beratungsangeboten zur Suizidprävention
Dieses Ziel wird nachdrücklich unterstützt. Wir begrüßen ausdrücklich, dass die bestehenden Telefon- und Online-Beratungsangebote für Menschen in Krisensituationen beibehalten, weiterentwickelt und bedarfsgerecht auf weitere Zielgruppen ausgeweitet und stärker miteinander vernetzt werden sollen. Zu Recht weist der Entwurf darauf hin, dass sie sowohl allgemeine Beratungsangebote im Lebenskrisen (wie zum Beispiel das Angebot der TelefonSeelsorge) als auch zielgruppenspezifische Beratung (zum Beispiel für Kinder und Jugendliche, für alte Menschen, für suchtkranke Menschen, für Berufsgruppen mit besonderen Belastungen) oder zielgruppenspezifische Ansprechwege (über Social Media, Chat- oder Messenger-Dienste) umfassen. Zuzustimmen ist, dass eine wichtige Voraussetzung bei der Konzeptentwicklung die Einbindung bestehender Krisenrufnummern wie zum Beispiel die Telefonseelsorge, Nummer gegen Kummer und weitere ist.
Von zentraler Bedeutung ist, dass die bundesweit einheitliche Rufnummer an lokale und regionale Krisendienste oder an das im Rahmen des bislang allerdings nicht verabschiedeten Gesetzentwurfs zur Notfallversorgung vorgesehenen Gesundheitsleitsystem weiterleitet. Dringend zu ergänzen ist, dass unter der Rufnummer auch Informationen über lokal zur Verfügung stehende Informations-, Unterstützungs- und Beratungsangebote weitergegeben werden. Dazu soll das unter Nr. 6 erwähnte digitale Verzeichnis genutzt werden, das, wie zu Nr. 6 ausgeführt wurde, dringend um lokale und regionale Angebote erweitert werden muss.
Auch das Ziel des Ausbaus telefonischer und insbesondere von Online-Beratungsangeboten für Personen in Krisensituationen, ihren An- und Zugehörigen, Hinterbliebenen, professionellen Bezugspersonen und Medienschaffenden wird mit großem Nachdruck unterstützt. Der Deutsche Caritasverband setzt sich zusammen mit dem Katholischen Büro weiterhin dafür ein, sein bewährtes und erfolgreiches Angebot der Online-Beratung von Kindern und Jugendlichen [U25] über die Förderphase bis 2027 hinaus zu verstetigen und auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen.
Nr. 9: Rahmenempfehlungen für Fort- und Weiterbildungsprogramme für Pflegefachpersonen und andere Gesundheitsberufe und Implementierung in die Praxis
Der Deutsche Caritasverband und das Katholische Büro haben sich seit langem vehement dafür eingesetzt, die Suizidprävention systematisch in der Aus-, Fort- und Weiterbildung aller Berufsgruppen, mit denen Menschen in suizidalen Krisen in Kontakt kommen, zu verankern. Daher wird dieses Ziel nachdrücklich begrüßt. Jedoch darf der Referentenentwurf nicht auf Pflegefachpersonen und weitere Gesundheitsberufe verkürzen, sondern muss alle unter § 5 genannten Berufsgruppen in den Blick nehmen sowie auf die Ausbildungsinhalte erweitern. Es bedarf zudem einer Refinanzierung der Fort- und Weiterbildungsprogramme durch ein Förderprogramm des Bundes. Zudem sollten bei der Fort- und Weiterbildung auch mögliche Peers in den Blick genommen werden. Gut ausgebildete Peers sind häufig fähige und lebensnahe Gesprächspartner_innen. In den Curricula von Aus-, Fort- und Weiterbildungen und Studiengängen / Lehrplänen sollte das frühe Erkennen von psychischen Krankheiten und Krisen, aber auch der Umgang mit Suizid- und Sterbewünschen verpflichtend verankert werden. Ausbildungsinhalte sollten darauf abzielen, Berührungsängste zu existenziellen Themen abzubauen und die Kompetenz zum Dialog zu verbessern. Neben medizinischen, psychologischen und juristischen Inhalten sollten deshalb auch ethische, interkulturelle und interreligiöse Handlungskompetenzen vermittelt werden. Train-the-Trainer-Programme stellen eine wirksame Möglichkeit dar, niedrigschwellige und lebensnahe Hilfe zu ermöglichen. Hilfreich kann überdies die Bereitstellung von Handlungsanweisungen und Ratgebern sein, die im Notfall einen ersten Überblick verschaffen und Handlungsmöglichkeiten eröffnen. Da Fort- und Weiterbildung Länderaufgabe ist, sollte zudem ergänzt werden, dass die Rahmenempfehlungen in Zusammenarbeit mit den Ländern zu erarbeiten sind.
Nr. 10: Kontinuierliche Verbesserung der wissenschaftlichen Grundlagen für evidenzbasierte Suizidprävention i.V. mit § 19
Für dieses Ziel hat sich der Deutsche Caritasverband zusammen mit dem Katholischen Büro seit langem eingesetzt. Die Ursachen für Suizide sowie Suizid- und Sterbewünsche sind komplex. Um besser zu verstehen, wie diese entstehen, welche Ursachen ihre Entstehung begünstigen und wie ihnen effizient entgegengetreten werden kann, bedarf es gut ausgebauter und langfristig finanzierter Forschungsvorhaben. Notwendig ist überdies eine verlässliche Statistik zu Suiziden in Deutschland. Häufig wird die Datenlage noch als unklar eingeordnet, weil Suizide gerade im Jugendalter oftmals den Unfällen zugerechnet werden. Auch assistierte Suizide sind eigens zu erfassen, um möglichen gesellschaftlichen Normalisierungstendenzen frühzeitig entgegenwirken zu können. Daher ist es sehr zu begrüßen, dass Nr. 19 auch die Forschung zum assistierten Suizid umfasst. Die Nationale Koordinierungsstelle soll somit ausdrücklich Forschungsaufgaben übernehmen. Dies geht auch aus § 19 hervor. Um die Koordinierungsstelle mit ihrem großen Aufgabenportfolio nicht zu überfrachten, sollte in § 19 nicht nur vorgesehen werden, dass sie sich externer Dienstleister, sondern auch externer Expertise zu diesem Zwecken bedienen kann. Fraglich ist jedoch, ob die dazu zur Verfügung gestellten Mittel ausreichen.
Nr. 11: Schaffung einer guten Datenbasis zur Suizidalität und zur Methodenrestriktion; Muster für bundeseinheitlich zu verwendende Todesbescheinigung und Erfassung von Todesursachen
Grundlegend für eine effektive Suizidprävention ist für die Caritas und das Katholische Büro eine qualifizierte, regelmäßige und systematische Datenerfassung auf der Grundlage von Statistik, Analyse und Interpretation zur Suizidalität, einschließlich einer systematischen Berichterstattung dazu. Wir begrüßen mit Nachdruck, dass der Referentenentwurf auch differenzierte Erhebungen und Identifikationen von Risikogruppen, Suizidmethoden und Hotspots vorsieht und auf dieser Grundlage Todesursachen einschließlich der Erfassung von assistierten Suiziden vorsieht. Dies ist angesichts der alarmierend ansteigenden Zahlen von Suizidenden dringendst geboten. Dabei sollte die Nutzung regionaler Datenquellen, insbesondere mit Blick auf die Erfassung von Hotspots, einbezogen werden und bestehende Registererfahrungen (wie z. B. des Werner-Felber-Instituts) genutzt werden. Eine Vernetzung mit Rettungsdienst und Polizei ist zudem sinnvoll, um auch auf deren Datengrundlage Hotspots zu identifizieren und eine Prävention zu ermöglichen und stets aktuell zu halten.
Eine Surveillance zu diesen Fragen reicht allerdings nicht aus. Ein Gesetzentwurf zur Suizidprävention muss auf der Grundlage solcher Daten effektive Maßnahmen zur Methodenrestriktion vorsehen, wie z. B. bauliche Maßnahmen bei Hotspots an den Strecken der Bundesbahn oder bei Brücken. Der vorgelegte Referentenentwurf ist zustimmungspflichtig. Daher muss die Chance ergriffen werden, konkrete Maßnahmen in der Gesetzgebungskompetenz der Länder, wie z. B. im Bereich des Baurechts, vorzusehen.
Forschung zur Suizidprävention sollte auch die wissenschaftlich fundierte Dokumentation und Evaluation der Arbeit von Suizidangeboten umfassen. Nur so lassen sich Wirkungszusammenhänge epidemiologisch erfassen und Präventionsangebote passgenau weiterentwickeln. Dieser Aspekt ist zu ergänzen.
Nr. 12: Bedarfsanalyse für ein Suizidregister und ggf. Entwurf eines Konzeptes
Nr. 11 und 12 könnten auch zu einer Aufgabe zusammengefasst werden, da sie in einem logischen Zusammenhang stehen. Wir sprechen uns für die Schaffung eines Suizidregisters aus, auch um die Entwicklung von Suiziden im Längsschnitt regional und national erfassen zu können und aus den Daten Maßnahmen für die Methodenrestriktion ableiten zu können.
§§ 10 bis 15: Fachbeirat bei der Koordinierungsstelle
Sollte der Gesetzgeber an der Einrichtung einer Nationalen Koordinierungsstelle als Behörde des BMG festhalten, ist es sachgerecht, dass diese sich eines Fachbeirats bedienen kann, der sie bei der Wahrnehmung und Erledigung ihrer Aufgaben unterstützt. Allerdings wird die Anzahl von 11 Mitgliedern als weitaus zu gering angesehen. Ausweislich § 11 Absatz 2 sollen im Fachbeirat Verbände, die die Interessen von Gruppen zur Förderung und Entwicklung der Suizidprävention wahrnehmen, Vertreter_innen von Forschung und Lehre sowie Praxis der Suizidprävention, Wissenschaftler_innen, Vertreter_innen von Polizei und Rettungsdiensten sowie Angehörigen- und Betroffenenverbänden vertreten sein. Allein diese Aufzählung zeigt, dass eine Beschränkung auf elf Mitglieder problematisch wird. Wichtig wäre, dass die Unabhängigkeit der Mitglieder des Fachbeirates gesichert würde.
Der Deutsche Caritasverband und das Katholische Büro begrüßen mit Nachdruck, dass die Perspektiven von Angehörigen von Menschen, die einen Suizid begangen haben, und jene von Menschen, die einen Suizidversuch überlebt haben, in den Fachbeirat der Koordinierungsstelle aufgenommen werden sollen. Was uns im Fachbeirat fehlt, ist die Perspektive der Einrichtungen und Dienste, in denen Menschen leben, die von Suizidalität betroffen sind, wie z. B. stationäre Altenhilfeeinrichtungen, Hospize und Krankenhäuser oder auch von Jugendhilfeeinrichtungen für suchtkranke Jugendliche. Ihre Mitarbeitenden haben umfängliche Praxiskenntnisse und können aus eigener Betroffenheit im Umgang mit (den Auswirkungen von) Suizidversuchen Expertise beitragen. Diese sollten ebenfalls einen Sitz im Fachbeirat bekommen.
Positiv zu bewerten ist, dass der Fachbeirat für seine Arbeit Sachverständige hinzuziehen kann. Allerdings darf auch nicht von der Haushaltslage abhängig sein. Die Nationale Koordinierungsstelle ist so auskömmlich zu finanzieren, dass die Beiziehung der erforderlichen Expertise jederzeit möglich ist.
§ 20 Berichtspflicht
Die Berichtspflicht des BMG gegenüber dem Deutschen Bundestag wird als obligat angesehen. Angesichts der Tatsache, dass die Koordinierungsstelle einer Aufbauphase bedarf, ist die erstmalige Berichtspflicht zum 30. Juni 2028 sachgerecht. Danach sollte allerdings ein jährlicher Turnus für die Berichtspflicht vorgesehen werden.
§ 21 Evaluierung
Die Evaluierung der Wirkungen dieses Gesetzes werden begrüßt. Neben den rechtlichen, medizinischen und gesellschaftlichen Auswirkungen sind auch die ethischen Auswirkungen in den Blick zu nehmen.
Artikel 2: Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch
§ 20 Absatz 3: Ergänzung der Primärpräventionsmaßnahmen um suizidpräventive Maßnahmen
Die Caritas und das Katholische Büro begrüßen nachdrücklich, dass die Suizidprävention als neues Gesundheitsziel in den Katalog der Primärprävention und Gesundheitsförderung aufgenommen wird. Allerdings muss es neben der Vermeidung von Suizidversuchen und Suiziden auch ausdrücklich um eine frühzeitige Erkennung gehen. Daher ist das Ziel wie folgt zu erweitern:
„6. depressive Erkrankungen verhindern, früh erkennen, nachhaltig behandeln sowie Suizidversuche und Suizide früh erkennen und vermeiden“.
§ 64f Modellvorhaben zu Maßnahmen der Suizidprävention
Die Zielsetzung, die Weiterentwicklung von suizidpräventiven Maßnahmen sowie das Verständnis für Suizidalität zu fördern, wird geteilt. Allerdings wird als fraglich erachtet, inwieweit ein Modellvorhaben des GKV-Spitzenverbands hierzu einen substantiellen Beitrag liefern kann. Die Konzeption des § 64f SGB V wirft grundlegende Fragen auf:
- Mit welchen Partnern sollen die Krankenkasse und ihre Verbände Vorhaben vereinbaren? In Absatz 2 werden keine Vereinbarungspartner genannt, anders als in allen anderen Modellvorhaben nach §§ 63 und 64 SGB V.
- Inwieweit können die Krankenkassen nach Abs. 1 Nr. 1 den Auf- und Ausbau von regionalen psychiatrischen Krisendiensten, für die die Länder zuständig sind, befördern?
- Welchen Mehrwert hat das Modellvorhaben für die Verbesserung der psychotherapeutischen Versorgung bzw. Kurzintervention, auf die bereits heute schon ein Rechtsanspruch besteht, zumal hier bereits auf die Nutzung der bestehenden Strukturen und Angebote der medizinischen Versorgung verwiesen wird?
In Abs. 1 Nr. 1 wird auf die Vernetzung der psychiatrisch-psychotherapeutischen Versorgung und der Notfallversorgung mit regionalen Hilfs- und Beratungsangeboten verwiesen. Dieses Ziel wird geteilt. Die Vernetzung der Notfallversorgung im Falle eines Suizidversuchs sollte allerdings nicht nur modellhaft erprobt werden, sondern im Rahmen des Gesetzesentwurfs zur Notfallversorgung konkret geregelt werden.
C. Ergänzender Änderungsbedarf
Damit Menschen den Assistierten Suizid nicht als einzige Möglichkeit des selbstbestimmten Sterbens sehen, muss die Hospiz- und Palliativversorgung ausgebaut, weiterentwickelt und die Möglichkeiten der Hospiz- und Palliativversorgung in der Gesellschaft bekannter werden.
Wir schlagen folgende Maßnahmen vor:
- Individueller Rechtsanspruch auf Beratung zu den Möglichkeiten der gesundheitlichen Vorsorgeplanung im Sinne von Advance Care Planning
Die Möglichkeit der Beratung im Sinne von Advance Care Planning (ACP) wie in Deutschland bisher in der gesundheitlichen Versorgungsplanung gemäß § 132g Abs. 1 SGB V bereits umgesetzt, sollte nicht nur pflegebedürftigen Menschen in stationären Pflegeeinrichtungen und in der Eingliederungshilfe, sondern auch Menschen, die zu Hause leben, ob jung oder alt, gesund oder krank, zustehen. Sie sollen einen Anspruch auf diese Form der Beratung haben, damit auch sie auf Wunsch dabei unterstützt werden, ihre ganz persönlichen Vorstellungen und Wünsche zu ihrer Versorgung am Lebensende selbstbestimmt zu verwirklichen. Die Beratung sollte von den Krankenkassen in Form von Pauschalen finanziert werden.
- Sterbebegleitung und Palliativversorgung in stationären Pflegeeinrichtungen stärken
Die suizidpräventive palliative Begleitung von hochaltrigen schwerkranken Menschen in stationären Pflegeeinrichtungen in der letzten Lebensphase erfordert einen hohen zeitlichen und damit personellen Aufwand. Dieser Mehraufwand umfasst sowohl die pflegerische und medizinische Versorgung als auch die psychosoziale Begleitung, Betreuung und Versorgung von sterbenden Menschen wie auch ihrer An- und Zugehörigen. Für die Begleitung der Bewohner_innen und ihrer An- und Zugehörigen in der Palliativphase ist eine Verbesserung des Personalschlüssels erforderlich, die im Rahmen der Umsetzung des Personalbemessungssystems nach § 113c SGB XI erfolgen muss. Perspektivisch sollte pro Einrichtung (je nach Anzahl der Bewohner in einem Verhältnis von 1:50) einen zusätzlicher, Stellenanteil für in Palliative Care qualifizierte Pflegefachpersonen mit erweiterter Pflegekompetenz gesetzlich verankert werden und über SGB V refinanziert werden, analog zu § 8 Abs. 6 SGB XI. Das bedeutet, dass diese Stellen als zusätzliche Möglichkeit zur Verbesserung der suizidpräventiven Palliativversorgung in stationären Pflegeeinrichtungen mit den Pflegekassen vereinbart werden können, die Ausgaben der Pflegekassen aber über die Krankenkassen gegenfinanziert werden. Dadurch würden auch die Eigenanteile der Bewohner:innen nicht erhöht werden. Des Weiteren sind die Kosten der Qualifizierung, einschließlich der Finanzierung der Freistellung der Mitarbeiter_innen für diese Qualifizierung, in diese Regelung mit aufzunehmen. Anspruch auf palliatives Fallmanagement, insbesondere nach der Entlassung aus dem Krankenhaus.
Sofern Menschen insbesondere nach Entlassung aus dem Krankenhaus einer Palliativversorgung bedürfen, sollen sie die Möglichkeit eines Fallmanagements durch einen „Palliativ-Lotsen“ erhalten. Diese Möglichkeit haben bislang nur Menschen, die im Rahmen der SAPV versorgt werden. Aufgabe des Palliativ-Lotsen soll die Beratung über die Möglichkeiten der hospizlich-palliativen Begleitung und Versorgung sowie ggf. Unterstützung bei der Beantragung und Organisation gesundheitlicher, pflegerischer, psychologischer, sozialer, spiritueller und sonstiger Unterstützungsangebote sein. Für die Ausgestaltung sind zwei Wege denkbar:
- Für Pflegefachkräfte ambulanter Pflegedienste mit Weiterbildung in Palliative Care muss das Leistungsverzeichnis häuslicher Krankenpflege nach § 37 Abs. 2 SGB V entsprechend erweitert werden,
- für sog. „Brücken-Schwestern“ in Krankenhäusern muss der § 11 Abs. 4 SGB V Versorgungsmanagement ausgebaut werden, damit sie diese Patienten auch ambulant weiterbegleiten können.
- Rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen für die Begleitung und Pflege durch An- und Zugehörige verbessern
Bestehende Hürden in der Kombination von Pflegezeit und Familienpflegezeit müssen abgebaut werden, damit pflegende Angehörige Auszeiten für die Pflege besser in Anspruch nehmen können. Pflegezeit und Familienpflegezeit sollten zu einer einheitlichen Pflegekarenz zusammengeführt werden. Bei Inanspruchnahme dieser Leistung sollen pflegende Angehörige eine Lohnersatzleistung im Umfang der jeweiligen Arbeitszeitreduzierung bei Teilzeitbeschäftigung im Umfang von mindestens 15 Stunden pro Woche oder bis zu 6 Monaten bei Vollausstieg erhalten. Die Sterbekarenz darf nicht auf die Höchstdauer der Inanspruchnahme der Pflegekarenz angerechnet werden. Zudem soll die Betriebsgröße für den Rechtsanspruch auf Familienpflegezeit, die derzeit bei 25 Beschäftigten liegt, auf die für die Pflegezeit geltende Betriebsgröße von 15 Beschäftigten reduziert werden. Des Weiteren darf es keine Abschläge beim Rentenanspruch geben, wenn sich An- und Zugehörige durch Inanspruchnahme eines Pflegedienstes entlasten.
- Psychosoziale Fachkräfte regelhaft in die spezialisierte ambulante Palliativversorgung integrieren
Schwerstkranke Menschen sind gefordert, sich mit den körperlichen Symptomen ihrer Erkrankung auseinanderzusetzen. Daneben kann die Erkrankung gravierende psychische, soziale, seelische und finanzielle Auswirkungen haben. All diesen Dimensionen muss – im Sinne des „total pain“ Konzepts von Cicely Saunders, der Begründerin der Hospizbewegung – mit einer umfassenden und der menschlichen Komplexität gerecht werdenden Schmerzbehandlung auch in der SAPV entsprochen werden. Dazu ist neben der medizinischen und pflegerischen Dimension die Verankerung der psychosozialen Dimension im Rahmen des § 132d SGB V notwendig. Damit können künftig psycho-soziale Fachkräfte fest in das Behandlungsteam integriert werden und psycho-soziale Leistungen, die bereits auf Palliativstationen und in stationären Hospizen regulärer Teil der palliativen Behandlung sind, auch regelhaft in der SAPV erbracht werden.
05. Dezember 2024
Kontaktdaten:
Dr. Elisabeth Fix, Leiterin Kontaktstelle Politik, Deutscher Caritasverband, Tel. 030 284447-46, elisabeth.fix@caritas.de
Dr. Natascha Sasserath-Alberti, Bioethik, Jugendpolitik, Ehrenamt, Kommissariat der deutschen Bischöfe -Katholisches Büro in Berlin-, Tel. 030 28878-147, sasserath-alberti@kath-buero.de
Elisabeth Frischhut, Referentin Referat Teilhabe und Gesundheit, Tel. 0761 200-353, elisabeth.frischhut@caritas.de